Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
«Kindererziehung».
Verwöhnung als Droge
Verwöhnung kann zudem zu einer gefährlichen Droge werden, weil man mit Verwöhnung sehr leicht Suchtcharakter entfalten kann. Das Kind braucht schließlich eine immer höhere Dosis an Verwöhnung. Konrad Lorenz sieht als ein Kernproblem einer «Überfütterung», dass die Verwöhnungsreize der sonst folgenden Abstumpfung wegen ständig erhöht werden müssen. Jürg Frick («Die Droge Verwöhnung») präzisiert die möglichen Entwicklungen sogar noch. Wie viele Suchtexperten ist er der Meinung, dass sich bei verwöhnten Kindern eine erhöhte Bereitschaft für Alkohol-, Medikamenten-, Drogenmissbrauch entwickelt und sich im Extrem gar eine handfeste Suchtkarriere ergeben kann.
Verwöhnte Kinder neigen oft auch zu dissozialen Haltungen und Handlungsweisen. Denn Verwöhnung, Verschonung und Überbehütung schränken den sozialen Aktionsradius der Kinder ein und führen damit oft zu sozialer Isolation. Andere Kinder mögen keine verwöhnten Kinder, weil sich diese nicht in soziale Gefüge einordnen und als Einzelgänger daherkommen. Allerdings ist es nicht leicht für ein Kind, sich mit einer sozialen Situation zu arrangieren, in der man nicht mehr – wie in der Familie – Mittelpunkt, sondern allenfalls Mittelmaß in der Kindergartengruppe oder in der Schulklasse ist. Gerade für Einzelkinder ist das ungewohnt, denn sie haben dergleichen noch nie erlebt, sie haben keine «Entthronung» durch ein jüngeres Geschwisterchen erfahren.
Verwöhnte Kinder sind später oft schwierige Partner. Sie erwarten von diesen eine Fortsetzung der mütterlichen oder väterlichen Verwöhnung und dass man ihnen immer alles verzeiht. Wehe, wenn zwei solche in einer Ehe zusammentreffen! Und wehe deren Kindern – so sie denn welche wollen. Immerhin ist zu beobachten, dass verwöhnte Kinder selbst signifikant weniger eigene Kinder haben. Sie scheinen zu sehr von Verwöhnung geprägt, als dass sie nicht wüssten, dass diese Verwöhnung nur möglich ist, wenn man als Eltern auf vieles verzichtet. Das aber haben diese potenziellen Eltern nicht gelernt. Vor allem mit verwöhnten Jungs als Partner soll sich der «Spaß» in Grenzen halten. Was passiert, wenn sie auf eine Partnerin treffen, die selbst als Heranwachsende verwöhnt und vergöttert wurde, kann man sich vorstellen.
Besonders im Fokus elterlicher Erziehung stehen Einzelkinder, deren Zahl aus vielerlei Gründen sukzessive größer wird. Rund ein Viertel der Kinder in Deutschland wächst ohne Geschwister auf, dieser Status ist zu einer typischen Form von Kindheit geworden. Einzelkinder haben es leichter und schwerer zugleich. Sie erscheinen selbständiger und selbstsicherer – aber auch egoistischer. Das hat damit zu tun, dass in weitaus höherem Maße als bei Kindern mit Geschwistern der Kontakt mit Erwachsenen zentral ist. Die Folge ist häufig, dass Einzelkinder sich besonders an den Gewohnheiten ihrer Eltern orientieren und alterstypische Wünsche und Verhaltensweisen kaum entwickeln.
Allerdings tragen Einzelkinder besondere Lasten. So sollen sie alleine stets Mutter und Vater zugleich beglücken. Ihr Leben ohne erwachsenenfreie Zone ist eine Herkulesaufgabe. Außerdem sind sie den Eltern mehr ausgeliefert als Kinder mit Brüdern oder Schwestern. Einzelkinder haben nämlich keine Geschwister, mit denen sie sich im Bedarfsfall mal gegen Eltern verbünden können.
In «Götzendämmerung» beklagt Friedrich Nietzsche die «Modernen» mit ihrer «dick wattierten Humanität, die durchaus an keinen Stein sich stoßen will» – eine Beschreibung, die heute bei verwöhnten Kindern von bedauernswerter Aktualität ist.
[zur Inhaltsübersicht]
Erziehung – eine «Wissenschaft»?
Früher war Erziehung ein alltägliches (Kunst-)Handwerk, heute läuft sogar alltägliche Erziehung Gefahr, zur Wissenschaft zu werden. Dabei meinte selbst der gute alte Sigmund Freud, dessen Erkenntnisse den Umgang mit Kindern nicht nur erleichtert haben, dass Kindererziehung keine Wissenschaft, sondern ein sehr natürliches Unterfangen sei. Erziehen bleibt ein nur bedingt planbares Unternehmen, das man weder wissenschaftlich unterlegen noch exakt durchstylen kann. Man darf aus dem Erziehungshandeln keine «unheilvolle Totalplanung» (Jaspers) machen. Das endet nämlich in einem totalitären Glauben, der junge Mensch sei beliebig formbar. Jaspers wörtlich: «Durch falsche Weise des Planens, durch Vergessen des alles tragenden Grundes kann man unmerklich auf den
Weitere Kostenlose Bücher