Helikopter-Eltern: Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung (German Edition)
Was müssten sonst Jugendliche aus Süd- oder aus Osteuropa zu ihrer Lage sagen?
Verwöhnte, verschonte und überbehütete Kinder haben auch keine Eigeninitiative entwickeln können, weil sie Hilflosigkeit gepaart mit hohen Ansprüchen erlernt haben. Sie verlassen sich darauf, dass die Eltern alles für sie erledigen. Sie werden deshalb auch häufiger Opfer von Mobbing. Der Psychologe Dieter Wolke von der britischen Universität in Warwick hat im Mai 2013 auf der Basis der Zusammenschau von 70 Studien mit insgesamt 200000 Kindern festgestellt, dass Kinder mit besonders behütenden Eltern ein höheres Risiko haben, Mobbingopfer zu werden. Wolke erklärt das damit, dass es diesen Kindern am Rüstzeug fehle, mit Unannehmlichkeiten und Attacken fertigzuwerden (Zeitschrift «Child Abuse & Neglect», online).
Überbehütete Kinder werden nie mündig. Solche Kinder lernen nie, für das eigene Tun Verantwortung zu übernehmen. Solchen Kindern wird es später an Unternehmergeist fehlen. Das sollte sogar volkswirtschaftlich zu denken geben. Immerhin ist es laut Eurobarometer für nur noch 19 Prozent der Deutschen erstrebenswert, als Selbständiger zu arbeiten. In Frankreich wollen das 28, in Amerika 42 Prozent.
Verwöhnung, Verschonung, Überbehütung und Umklammerung fördern Eigensinn, Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Überheblichkeit, Geltungssucht, überhöhte Ansprüche, Unselbständigkeit, Bequemlichkeit, Gehemmtheit, Pedanterie, Weinerlichkeit, Abhängigkeit von Eltern und ein realitätsfernes Selbstbild. Verwöhnte Kinder neigen zur Regression in eine frühere Entwicklungsphase oder zur Fixation einer bestimmten Entwicklungsphase. Eine Regression auf eine frühere Phase der psychischen Entwicklung wäre es zum Beispiel, wenn bei einem Kind das Bedürfnis nach oraler Verwöhnung wieder überhand nimmt. Fixation wäre es, wenn ein Kind auf einer bestimmten Stufe der psychischen Entwicklung verharren würde.
Extreme Verwöhnung kann auch hinter Faulheit stecken. Dass der Begriff der Faulheit in der korrekten Pädagogik nicht vorkommen darf, täuscht über diesen Zusammenhang hinweg. Faule Schüler heißen jetzt «demotivierte» Schüler. Und ein demotivierter Schüler ist ja von einem anderen, von einem Lehrer oder einem Elternteil, aktiv seiner Motivation beraubt worden. Diese haben es dann schlichtweg versäumt, seinen Eifer zu wecken.
Her mit dem Instanterfolg
Verwöhnte, verschonte, überbehütete Kinder sind vom schnellen Instanterfolg abhängig und können deshalb kein Durchhaltevermögen entwickeln. Alle Befriedigung muss «subito», auf ein Fingerschnippen hin erfolgen – ohne Investition, ohne Anstrengung, ohne Durststrecke, ohne Triebaufschub, hier und jetzt auf der Stelle. So, wie es die Werbung oft genug verspricht: «Genuss sofort». Die Erwachsenenwelt lebt es vor mit ihrem Hedonismus. Laut Generationenbarometer 2006 von Allensbach sahen im Jahr 1978 noch 37 Prozent der Deutschen den Sinn des Lebens darin, «das Leben zu genießen», 2006 sind es in Ost und West bereits 54 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen wuchs der Wert von 57 auf 80 Prozent an, bei den 30- bis 44-Jährigen von 40 auf 60, bei den 45- bis 59-Jährigen von 28 auf 52 Prozent. Leider wird die Sofortismushaltung des Kindes oft für Eltern zum Maßstab ihres erzieherischen Handelns. Wenn Kinder ihre Wünsche aber sofort erfüllt bekommen, womöglich bereits bevor sie artikuliert wurden, nimmt man ihnen den Zauber der Vorfreude.
Auf eine Anspruchs ver wöhnung folgt dann eine Anstrengungs ent wöhnung. Die Kinder werden grenzenlos in ihren Erwartungen, aber sie bleiben begrenzt belastbar. Tiefenpsychologen würden sagen: Bei solchen Kindern ist es beim «Lustprinzip» geblieben, das «Realitätsprinzip» hatte keine Chance.
Neu sind diese Erkenntnisse eigentlich nicht. Nur hat man sie inzwischen wieder vergessen. Entreißen wir einige der wegweisenden Schriften über die Folgen der Verwöhnung diesem Vergessen: Einer der ganz Großen, die sich mit Verwöhnung – oft spricht er von Verzärtelung – und ihren Folgen befasst haben, war Alfred Adler (1870–1937). Er hat damit die US-amerikanische Literatur stark beeinflusst. Noch zu Adlers Lebzeiten erschienen dort Abhandlungen über «overprotection».
Adler hat sehr viel über Erziehung und im Besonderen über Verwöhnung geschrieben. In nahezu allen seinen namhaften Werken befasst er sich damit – in «Menschenkenntnis», «Der Sinn des Lebens» oder
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