Helix
Nebenroute aus dem Zentrum heraus einige Male echten Abgründen ausweichen, wo die Straßenarbeiten begonnen, aber nicht beendet worden sind.
Das Innere der TsUP ist zugig, feuchtkalt und ein wahres Labyrinth. Es gibt hallende Flure, die überwiegend dunkel sind. Vasilisa erklärt ihrem Gast, dass die meisten Lampen ausgeschaltet bleiben, um Geld zu sparen. Die wenigen Techniker und Bürokraten, denen sie in den breiten Gängen begegnen, tragen dicke Pullover oder Mäntel. Als sie den Kontrollraum betreten, huschen zwei Katzen an Roths Beinen vorbei.
»Lassen Sie etwa Katzen hier herein?«
»Wie sollen wir sonst mit den Mäusen fertig werden?«, fragt Vasilisa.
Roth wird den Flugleitern, den stellvertretenden Flugleitern, den Flugärzten, den Bodenkontrolleuren, den Kosmonauten, den ehemaligen Kosmonauten, den Verwaltungsbeamten von Energia, den Direktoren von TsUP, mehreren kettenrauchenden Ingenieuren und einem Hausmeister vorgestellt. Niemand, nicht einmal der Hausmeister, hat mehr als ein paar Sekunden Zeit, um Roth rasch die Hand zu schütteln, bevor er sich wieder der vorher geführten Unterhaltung zuwendet oder sich eine neue Zigarette ansteckt. Niemand scheint zu arbeiten. Auf dem großen Bildschirm an der hinteren Wand wird die langsame Kreisbewegung der Raumstation um die Erde gezeigt. Sie fliegt jetzt gerade über den Südpazifik. Auf einem Kontrollpult steht ein Modell der abgestürzten, betrauerten Mir. Ein Modell der ISS gibt es nicht.
»Im Augenblick wird die Raumstation vom amerikanischen Team in der Houston Mission Control gesteuert«, erklärt Vasilisa. »TsUP hat die erste Mission geleitet, als nur ein Modul oben war. Seit das zweite und weitere Module angefügt wurden, wird die Raumstation fast ausschließlich in Houston gefahren.«
»Was treiben die russischen Kontrolleure dann hier?«, fragt Roth.
Vasilisa macht eine anmutige Geste mit der Hand. »Sie unterstützen die Kommunikation. Sie planen den nächsten Sojus- Start und die Versorgungsflüge mit den Progress- Raketen. Sie halten Kontakt mit dem russischen Kosmonauten an Bord. Sie beaufsichtigen einige wissenschaftliche Experimente.«
Roth sieht sie an und wartet.
»Wir vermissen die Mir«, sagt Vasilisa schließlich.
Als die Dämmerung kommt, liegt Roth in seinem kalten Moskauer Hotelzimmer und träumt von der Mir.
Er sieht sie aus einem ähnlichen Blickwinkel wie ein tief tauchendes Unterseeboot, das ein versunkenes Schiffswrack ansteuert, vielleicht die Titanic. Das Wasser ist schwarz, und die Scheinwerfer des Unterseebootes zeichnen dünne Lichtfinger durch die kalten Wasserströme, erfassen Tang und Schwärme hässlicher Fische, rutschenden Schlick. Das einzige Geräusch ist Roths über Mikrophone verstärkter Atem. Plötzlich taucht die Mir aus der Dunkelheit auf. Durchsichtige Meereswesen schweben vor der Luftschleuse des Wracks, vor den Andockpositionen und den dunklen Sonnenkollektoren.
Roth lenkt sein Unterseeboot ein Stück näher an den Rumpf, schwebt am beschädigten Spektr- Modul vorbei, das der Wissenschaft vorbehalten war, hält nahe am Kernmodul inne, wo die Kosmonauten und Astronauten gelebt, geschlafen und gegessen haben. Es gibt dort ein rundes Bullauge, das von den Scheinwerfern des Unterseebootes erfasst wird. Die Lichtbalken stechen in die Dunkelheit hinein.
Ein weißes Gesicht schaut heraus. Das Gesicht eines jungen Mädchens. Roth hält vor Schreck den Atem an. Das Mädchen öffnet die Augen. Plötzlich erscheint ein zweites Gesicht im Bullauge, dessen Augen starren, aber sie starren nicht Roth an, sondern etwas hinter ihm. Es ist Roths Vater.
Roth erwacht keuchend in seinem Hotelzimmer. Er presst sich die Hände auf die Brust.
Der Flug nach Süden bis Baikonur dauert mit dem Düsenflugzeug, einer Tupolew Tu-134, etwas mehr als zwei Stunden. Außer Dr. Vasilisa Iwanowa und Norman Roth sind nur drei weitere Passagiere an Bord. Er ist überrascht, dass sich das russische Startfeld nicht in Russland selbst, sondern in Kasachstan befindet. Es liegt am Rand des sterbenden Aralsees. Seine Führerin und Dolmetschern erklärt ihm, dass Boris Jeltsin nach dem Zerfall der Sowjetunion das Glück hatte, einen Pachtvertrag für den isolierten Militärstützpunkt und die benachbarte Stadt aushandeln zu können. Über drei Jahrzehnte lang war hier das streng geheime Startzentrum und der Schauplatz der ruhmreichen Eroberung des Weltraums für die UdSSR beheimatet.
Anfangs spricht Vasilisa kaum über sich
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