Helix
Schürze mit blauem Blumenmuster und sagten zu ihr: Hör mal, Sweta, du bist zwar Pilotin und Kosmonautin, aber vor allem bist du eine Frau. Würdest du uns die Ehre erweisen, heute Abend unsere Gastgeberin zu sein?‹«
»Autsch«, macht Roth.
»Was heißt das?«, fragt Vasilisa. »Autsch?«
»Es heißt, dass etwas wehtut.«
Sie nickt. »Vielleicht klinge ich jetzt zu sehr nach einer amerikanischen Feministin. Aber was würde eine amerikanische Astronautin tun, wenn ein Astronaut ihr im Spaceshuttle oder auf der Raumstation eine Schürze geben würde?«
»Sie würde ihm die Nase einschlagen«, sagt Roth.
»Bei Schwerelosigkeit wäre dieser Schlag ein … ein interessantes Problem für die newtonsche Aktions-Reaktions-Gleichung«, sagt Vasilisa. »Aber Sie haben recht, zwischen amerikanischen und russischen Frauen besteht ein Unterschied. Wir russischen Frauen mögen den Feminismus nicht so sehr. Andererseits fliegen wir russischen Frauen auch nicht so oft in den Weltraum.«
»Und was ist mit der letzten Kosmonautin, die Sie erwähnt haben? Kondakowa? Sie sagten, sie sei zur Mir geflogen.«
»Ja«, sagt Vasilisa. »Nachdem sie die Sekretärin und dann die Frau des Flugleiters Valeri Rumin geworden war.«
»Autsch.«
»Dieses ›Autsch‹ ist ein sehr nützliches Wort«, meint Vasilisa.
Roth nickt und reibt sich die müden Augen. Der Pilot der Tu-134 verkündet in knappen russischen Worten, dass die Ablagen und die Lehnen in eine aufrechte Position gebracht werden müssen. Jedenfalls vermutet Roth, dass es darauf hinausläuft. Da er kein Russisch kann, hätte der Pilot allerdings auch mitgeteilt haben können, dass beide Flügel abgefallen seien. Er sagt zu Vasilisa: »Sie meinen also, dass es hier eine Verschwörung von altmodischen Sexisten gibt, die Sie daran hindern, eine Kosmonautin zu werden?«
»Ja«, sagt Vasilisa. Sie schiebt sich mit einer Geste, an die Roth sich allmählich zu gewöhnen beginnt, das Haar hinter das rechte Ohr. »Sie haben recht mit dieser Verschwörung alter Knaben. Alle Kosmonauten sind alte Knaben. Und ich wünschte, ich könnte auch an einen Busreifen urinieren, während ich einen Raumanzug trage.«
Vasilisa erklärt, dass die Stadt, die an das Startzentrum Baikonur angrenzt, von den meisten Russen immer noch Leninsk genannt wird, obwohl sie offiziell umbenannt wurde. Das eigentliche Baikonur ist ein Dorf, das mehr als hundertfünfzig Meilen entfernt im Nordosten liegt. Ein typisches Manöver aus dem kalten Krieg, das Chruschtschow sich ausdachte. Man habe damals der Welt mitgeteilt, die UdSSR wolle in den Vororten von Baikonur eine Raketenbasis bauen, doch dann habe man sich nie wieder in der Nähe des Ortes blicken lassen. Ein Trick aus dem Jahre 1955, bevor es Aufklärungssatelliten gab.
Roths erster Eindruck ist der, dass Stützpunkt und Stadt kalte, verlassene Orte sind, ganz egal, welchen Namen sie tragen. Es gibt weder Hügel noch Bäume, die als Schutz vor dem Wind dienen könnten, der über tausend Kilometer Steppe gefegt ist. Die Stadt selbst wirkt eigenartig leer, die Wohnhäuser sind dunkel, in den Straßen gibt es keinen Verkehr. Als Roth nach dem bräunlich-roten Pulver fragt, das auf den leeren Grundstücken liegt, erklärt Vasilisa ihm, der Staub werde vom gefrorenen Aralsee herübergeweht. Er sei angereichert mit den Pestiziden, die den See und das Leben darin getötet haben.
»Die Einwohner und Arbeiter von Leninsk glauben, der Staub töte sie und ihre Kinder«, sagt sie.
»Trifft das zu?«, fragt Roth.
»Ich glaube schon.«
Das Startzentrum sieht in Roths Augen viel mehr nach einem Militärstützpunkt aus als das Kennedy Space Center, das er vor einigen Jahren bei seinem bisher einzigen Besuch besichtigen konnte. Der Komplex in Cape Canaveral ließ Roth im Grunde sogar eher an Disney World denken als an einen betriebsfähigen Raumhafen – eine Touristenattraktion mit Toneinspielung und bewegten Puppen, die als Platzhalter für lange verschiedene Flugleiter in den wieder aufgebauten Blockhütten aufgestellt sind. Baikonur ist nüchtern und real, aber es ist auch deprimierend. Kalt wie der neunte Kreis der Hölle.
Wächter eskortieren sie vom gut bewachten Tor ins Büro eines russischen Majors. Der Major gibt Roth die Hand, unterhält sich einen Moment mit Vasilisa in russischer Sprache – Roth wird klar, dass der Offizier kein Englisch spricht – und führt sie zu einer unbeheizten Limousine. Sie machen eine rasche Rundfahrt durch den Komplex,
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