Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Helix

Helix

Titel: Helix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Schatten der Marsrakete Klappstühle aufzustellen. Der Marschall setzte sich mit seinen Generälen und den Raketeningenieuren und Direktoren und allen anderen außer dem Chefkonstrukteur, der zu beschäftigt war, vor die Heckflossen der Rakete. Meine Aufgabe war es, den Bus zum Blockhaus und wieder zurück zu fahren und all diese wichtigen Leute zur Startrampe zu bringen, damit die Techniker und Arbeiter an ihre Arbeit zurückkehrten, weil sie sahen, dass keine Gefahr drohte. Das taten sie dann auch. Die Bodencrew besetzte die Pumpen und ihre Stationen und ging ihrer Arbeit nach, der Treibstoff wurde aus der riesigen Rakete abgelassen, das Stickstoffoxid und die selbstentzündlichen Treibstoffe wurden in Lagertanks gepumpt.
    Natürlich ist die Rakete explodiert. Hättet ihr Amerikaner damals schon die gleichen Spionagesatelliten gehabt wie heute, hättet ihr gedacht, da sei eine Atombombe detoniert. Marschall Nedelin, die Generäle und hundertsechzig weitere Leute waren auf der Stelle tot, sie sind verdampft, und es blieb noch nicht einmal ein Häufchen Asche zurück. Sie erhoben sich in die Atmosphäre wie Feuer, wie Plasma, wie Rauch, wie ein Dunst von Seelen.
    Ich war weniger als einen halben Kilometer entfernt, fuhr den Bus zur Rakete zurück und beförderte den letzten Trupp VIPs zu den Klappstühlen, zu den Todesstühlen an der Startrampe. Die Explosion hat die Scheibe aus dem Rahmen gerissen und mir die Stücke ins Gesicht gejagt, dann ist das Glas geschmolzen, der Bus wurde von der Zufahrtsstraße in einen Rückhalteteich geworfen, und dann ist der größte Teil des Teichs verdampft, die Reifen sind geschmolzen, und die meisten Leute in meinem Bus sind gestorben.«
    Nitschewo lächelt und zeigt mir seine paar verbliebenen Zähne. Er schenkt allen noch einmal Wodka ein. Dann fährt er fort.
    »Doch sechs Monate später, meine liebe Vasilisa, im April 1961, haben wir den Genossen Gagarin von einer Startrampe, die noch die Spuren der Explosion trug, in den Weltraum geschossen, und von da ab ging es vorwärts. Nach diesem Tag im April haben wir immer wieder Menschen in den Weltraum gebracht, und immer weitere sollten folgen.
    Aber, meine liebe Vasilisa, dein amerikanischer Freund sieht aus wie un maladietz, ein guter Junge.«
    Roth lächelt, als er »Junge« genannt wird.
    »Sag ihm, dass wir jetzt dusha-dushe reden können«, fügt Nitschewo hinzu.
    Vasilisa hat den Ausdruck nicht übersetzt, und Roth fragt nach der Bedeutung. Sie schiebt sich die Haare hinters Ohr, eine Geste, die Roth inzwischen lieben gelernt hat. »Dusha-dushe«, sagt sie, »bedeutet von Herz zu Herz. Manchmal sagen wir auch po-dusham, von Seele zu Seele.«
    Nitschewo nickt und schenkt ihnen noch ein Glas Wodka ein.
     
    Auf dem Rückflug nach Moskau ist Roth ruhig und betrunken. Er sieht, wie Vasilisas Gesicht vom Mondlicht, das durch das Kabinenfenster ins Flugzeug fällt, beleuchtet wird, und er denkt über die Dinge nach, die der alte Mann ihm erzählt hat.
    Er hat Nitschewo gefragt: »Warum fliegen die Menschen da hinauf? Was erwartet uns im Weltraum? Wenn man von Gier, Ruhm, Abenteuer und Nationalismus absieht, warum wollen wir da hinauf?«
    Vasilisa hat langsam und behutsam übersetzt und sich offenbar große Mühe gegeben, genau das zu übertragen, was Roth mit seiner Frage im Sinn hatte.
    Nitschewo hat genickt und noch einmal Wodka eingeschenkt.
    »Die Gründe, warum wir es tun, sind nicht die Gründe, aus denen wir es tun müssen«, sagte der alte Mann. »Es geht hier zu Ende. Wir müssen gehen.«
    »Was endet hier?«, fragte Roth. Er fürchtete schon, der Alte werde ihm irgendeinen Unfug über die sich verschlechternden Umweltbedingungen auf der Erde erzählen, und dass die Menschen einen neuen Planeten finden müssten. Irgendeinen Unfug dieser Art.
    Nitschewo bewegte auf eine ganz ähnliche Weise wie Vasilisa die Hände und zuckte mit den Achseln.
    »Wir sind aus dem Meer aufs Land gekommen, doch wir sitzen nun schon viel zu lange auf dem Land fest. Wir träumen vom Meer. Wir haben Erinnerungen an unser neues Meer, wir schweben im Traum und fühlen die wahre Freiheit, die wir erleben durften, bevor wir in den Staub getrieben wurden. Wir sind bereit, ins Meer zurückzukehren.«
    »Ins Meer?«, wiederholte Roth. Er fragte sich, ob der alte Mann vielleicht betrunkener sei, als es den Anschein hatte. Oder senil.
    Nitschewo legte eine Handfläche unter die Decke seines Bunkers. »Das viel größere Meer da oben. Der wahre Ozean, der

Weitere Kostenlose Bücher