Helix
umgestürzten Bäume.
Wenige Augenblicke später heulte der Motor des Bronco auf, doch ich hob den Kopf erst wieder, als er beim Wenden über die Zweige eines gefällten Baums holperte und durch Ward und den Canyon davonfuhr.
Ich musste nach Boulder zurück – dieses Mal war die Stadt aus den Achtzigerjahren, aber immer noch verlassen –, um Verbände und Antibiotika für die Schnittwunden auf den Rippen und am Arm zu finden. Inzwischen sind die Wunden verschorft, aber es tut immer noch weh, wenn ich laufe oder tief einatme.
Seit diesem Tag mache ich keinen Schritt mehr ohne die Remington.
Auch nachdem ich zwei Jahre lang betrunken unterrichtet hatte, fand die Schulverwaltung nicht den Mut, mich zu feuern. Der Rahmenvertrag bestimmte, dass mein Fehlverhalten von einem oder mehreren Vorgesetzten dokumentiert werden müsse, weil ich eine Festanstellung hatte. Ferner musste man mir mindestens drei Chancen geben, mich zu bessern, und ich musste bei jedem Schritt des Verfahrens gerecht behandelt werden. Wie sich herausstellte, hatten der Schulleiter und die für meinen Zweig zuständige Abteilungsleiterin aber Angst, mich mit irgendwelchen Beweisaufnahmen zu behelligen. Ich wollte mich sowieso nicht bessern, und die Leute waren viel zu sehr damit beschäftigt, mich vor neugierigen Blicken abzuschirmen oder mich unter Umgehung der vorgeschriebenen Prozeduren auf andere Weise aus dem Weg zu räumen. Schließlich wies die Bezirksaufsicht meine Abteilungsleiterin an – ein grauer Klotz von Frau namens Dr. Maxine Miliard –, mich so oft, wie es eben vorgeschrieben war, zu beobachten, mich zu verwarnen und mir die Chance zu geben, mich zu bessern, und dann den notwendigen Papierkram zu erledigen, um mich loszuwerden.
Ich wusste, an welchen Tagen Dr. Max kommen wollte und hätte mich krankmelden oder wenigstens nicht betrunken oder verkatert zum Dienst erscheinen können, aber ich dachte mir: Scheiß drauf, sollen sie doch machen, was sie wollen! Und das taten sie dann auch. Meine Festanstellung wurde widerrufen, und ich wurde drei Jahre und zwei Tage, bevor ich Frührente hätte beantragen können, aus dem Schuldienst entlassen.
Ich vermisse den Job nicht. Ich vermisse die Kinder, selbst die nachlässigen, von Pickeln heimgesuchten, unfähigen Highschool-Schüler. Aber seltsamerweise kann ich mich an die kleinen Kinder aus den Anfangsjahren auf der Grundschule viel besser erinnern. Und ich vermisse sie mehr.
Ein Weiser ohne Bühne ist kein Weiser mehr, ob betrunken oder nüchtern.
Heute Morgen folgte ich Kelly Dahls Reifenspuren eine schmale Kiesstraße den Flagstaff Mountain hinunter. Ich kam dort heraus, wo der Chautauqua Park hätte sein sollen. Boulder war verschwunden, und das Binnenmeer war wieder da. Dieses Mal war aber weit draußen auf den Sandbänken eine Insel zu sehen. Eine befestigte Stadt, auf Felsen gebaut, war auf der Insel zu erkennen, und in der Stadt erhob sich eine gewaltige Kathedrale, auf deren höchstem Turm der Erzengel Michael stand, das Schwert zum Himmel gereckt und den Fuß fest auf einen sich windenden Teufel gestemmt. Ein Hahn auf seinem Fuß symbolisierte die ewige Wachsamkeit. Die Stadt war über einen Damm erreichbar, der sich gerade einen Fuß hoch aus dem Treibsand erhob.
»Meine Güte, Kelly«, sagte ich zu den Reifenspuren, denen ich über den Damm folgte, »das wird aber allmählich ein bisschen albern.«
Es war natürlich Mont Saint Michel, vollständig nachgebildet mit allen Buntglasfenstern und Gusseisengeländern. Ich konnte mich dunkel erinnern, dass ich in meinem sechsten Schuljahr einmal Dias der Stadt gezeigt hatte. Die Gebäude aus dem 12. Jahrhundert hatten meine Phantasie angeregt, und im folgenden Jahr war ich mit meiner Familie hingefahren. Maria war wenig beeindruckt, doch der damals zehnjährige Allan war ganz aus dem Häuschen gewesen. Er und ich kauften jedes Buch über den Ort, das wir nur finden konnten, und redeten ernsthaft darüber, aus Balsaholz ein Modell der Kathedrale zu bauen.
Kelly Dahls alter Bronco stand vor dem Tor. Ich nahm die Remington, lud eine Patrone in den Lauf und trat durch das Stadttor auf einen gepflasterten Gehweg. Meine Schritte hallten laut. Hin und wieder blieb ich stehen, sah über die Festungsmauern zurück zu den Flatirons, die in der Sonne Colorados strahlten, und lauschte, ob ich außer dem trägen Schwappen der Wellen ihre Schritte hören konnte. Weiter oben vernahm ich Geräusche.
Die Kathedrale war leer, doch auf
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