Helix
legenden von hohen Bergen und ihren göttlichen oder monströsen Bewohnern benannt sind: Harney Peak (Black Elks »Zentrum des Universums«); Nanda Devi, wo angeblich die Gelbe Göttin der Verzückung wohnt; Muztagh Alta, wo Tausende frommer Moslems über den Gräbern Alis und der anderen Heiligen des Islam wachen; Chomo Tori, die Schneekönigin; Helgafell, die von weißen Gletschern umgebene Methalle der Toten; Demchog, der Gipfel der Buddhisten, dessen Name als »Der höchst Verzückte« übersetzt werden könnte; und so weiter. Die Zusammenstellung dieser heiligen hohen Orte hat mir viel Spaß gemacht, aber ich war sicher, meine Redakteurin würde sich darauf stürzen und, entsetzt über die Weitschweifigkeit, kräftig kürzen. So kam es auch. Aber ich blieb hart. Ein Romanschriftsteller muss sich schließlich ab und an auch Ausschweifungen hingeben dürfen.
In Wirklichkeit ist natürlich so gut wie jeder Berg der Erde für jemanden heilig – oft sogar für viele Völker gleichzeitig –, doch die Stämme und Dörfler und heiligen Männer, denen die hohen Gipfel so viel bedeuten, sind nie auf diese Berge gestiegen. Die Erhebungen sind viel zu Ehrfurcht erweckend und zu weit entfernt. Gefährlich sind sie auch. Außerdem verliert ein Berg, den man bestiegen und »erobert« hat, die Aura seiner heiligen Kraft (außer für jene, die ihn bestiegen haben).
Die Weltmeere sind lebensgefährlich. Wir müssen unseren Meeren opfern, um das Recht zu erwerben, auf ihnen zu segeln oder in ihrer Nähe zu leben. Doch immerhin kann man Metaphern über die warme Umarmung der Mutter erfinden, wenn jemand auf See bestattet wird; der Tod in den Bergen dagegen ist stets kalt und einsam.
Meine Beweggründe, »Mit Kanakaredes auf dem K2« zu schreiben, sind, wie bei allen fiktiven Werken, vielfältig, sie entziehen sich vermutlich einem erschöpfenden Verständnis, und es ist wohl auch nicht nötig, sie ganz und gar zu erhellen. Der Anlass, die Geschichte zu schreiben, war allerdings recht simpel: Bei meinem Gastspiel als Dozent beim Odyssey Writers’ Workshop im Sommer 2000 habe ich mehrere Studenten kennengelernt, die tatsächlich schreiben konnten. Eine von ihnen, eine ehemalige Anwältin namens Laura Whitton, hatte eine fast fertige Story in der Tasche, die ich so überzeugend fand, dass ich sie dem Herausgeber Al Sarrantonio empfahl, der vorher mit mir Kontakt aufgenommen hatte, weil ich einen Beitrag zu einer Anthologie mit dem Titel »Redshift« liefern sollte. Ich hatte eigentlich nicht geplant, eine Kurzgeschichte für Als Anthologie zu schreiben, denn ich liebe zwar Kurzgeschichten, aber ich schreibe nur selten welche, weil ich durch meine Romane, Drehbücher und anderen langfristigen Projekte zu sehr beansprucht bin. Doch als er Laura Whittons Story mit dem Titel »Froggie Dreams« akzeptierte, war es meiner Ansicht nach ein Gebot der Höflichkeit, auch eine Story für ihn zu schreiben.
Der K2 gilt als besonders gefährlicher Berg, und ich wollte schon immer mal an seinem Fuß wandern. Aber näher als bis Kalkutta, wo ich vor mehr als zwanzig Jahren einen mehrere Tage und Nächte dauernden Albtraum erlebte, bin ich an den Himalaja oder das Karakorum noch nicht herangekommen. Also musste ich recherchieren und mich auf die Erinnerungen und Erzählungen von Bergsteigern verlassen. Ich nahm mir eine Woche Zeit (nun gut, es war die letzte Woche vor Als Abgabetermin), um die Story zu schreiben. Als Erstes entschied ich mich für eine Route auf den K2 und für die bergsteigerischen Techniken, mit deren Hilfe die Charaktere den Gipfel bezwingen sollten. Die für die Story gewählte Route ist recht bekannt, und die Techniken beruhen nicht so sehr auf hochmoderner Technologie wie viele heutige Expeditionen im Himalaja. (Dies ist ein hübsches Paradox der wahrhaft fortschrittlichen Technologie: Sie erlaubt es den naturverbundenen Menschen, zu den einfachen Dingen zurückzukehren.)
Die Personen in der Story unternehmen eine »alpine« Besteigung, die unter den besonders kühnen und durchtrainierten Bergsteigern im Himalaja und im Karakorum zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer mehr in Mode kommt. Eine alpine Besteigung entspricht dem energischen Vorstoß, wie er bei kleineren Gipfeln üblich ist. Man braucht dazu nicht viel Logistik, Material oder Zeit. Das unterscheidet sie von den traditionellen Besteigungen der Achttausender, die man sich eher wie eine Pyramide vorstellen muss. Es beginnt mit Dutzenden oder gar Hunderten von
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