Helix
diesem Sinne ist das Leben am Meer dem Leben mit einem anderen Menschen ähnlich.
Doch auch die Berge sprechen zu uns. Mein 47 Hektar großes Stück Land, das in der Nähe von Alienspark, Colorado, in 8400 Fuß Höhe in der Nähe der Kontinentalscheide liegt, trägt den Namen Windwalker. Der Name ist treffend, weil der Wind dort durch die Bäume und Gräser und Felsvorsprünge zu wandern scheint. Er fällt vom Jetstrom herunter und wird an der Ostseite der Kontinentalscheide durch das Gletschertal des Wild Basin wie durch einen Trichter direkt zu meinem Hügel gelenkt. In der Nacht, besonders im Winter, flüstern und zittern und seufzen die Douglaskiefern, die Drehkiefern und Ponderosakiefern sogar auf der windabgewandten Seite des Hügels, und dreihundert Meter über der Talsohle bebt auch meine Hütte unter den Böen. In den acht Jahren, die ich hier bin, hat sich das Gras gewandelt. Die Roggentrespe ist den schöneren, von Natur aus hier vorkommenden Sorten gewichen, das hohe Gras an der Südseite des Hügels regt sich und raschelt im Bergwind, und auch die grüneren und weicheren Gräser in den Feuchtgebieten östlich vom großen Teich drunten im Tal nicken im Wind. Manchmal wellt sich das Schilf und das Sumpfgras in der Brise, als würde ein Katzenfell gestreichelt, und das Geräusch des vorüberstreichenden Windes ist beruhigend wie das Rauschen der Brandung.
Die Veränderungen des Meeres zu beobachten, ist eine lebenslange Berufung, aber das gilt auch für die Berge. Die Gipfel wechseln von Stunde zu Stunde und von Tag zu Tag ihr Aussehen. Aus den Fenstern meiner Hauptwohnung in einer kleinen Stadt etwa zehn Meilen von den Vorbergen entfernt, wo ich auch mein Büro habe, kann ich die Stimmung der Berge beobachten. Das Sonnenlicht ist hier in Colorado anders als anderswo, es ist voller und greller, denn schon in meiner Heimatstadt, die 1600 Meter hoch gelegen ist, befindet sich beinahe die Hälfe der Erdatmosphäre unter uns, und oft spielt das Licht pointillistische Spiele mit den Schneefeldern und der zähen Vegetation und dem grauen Granit, der im Westen oberhalb der Baumgrenze zum Vorschein kommt. Die Kiefern- und Fichtenwälder unterhalb der Baumgrenze strahlen grün wie Moos in einem Moment und verdüstern sich zu tiefstem Schwarz im nächsten. Wolken türmen sich über den Gipfeln dreißigtausend Fuß hoch auf, wenn sie ihre feuchte Last von der Westseite der Kontinentalscheide in den trockeneren Osten tragen. Dieser Wolkendamm baut sich hoch und weiß auf, höher und immer höher, während er den ganzen Tag versucht, die Kontinentalscheide zu überwinden. Es liegt eine gewisse angenehme Spannung darin, wenn man diesen Tsunami von Wolken beobachtet und darauf wartet, dass er sich über die hohe Prärie ergießt. An Sommertagen tut er das fast jeden Nachmittag und schickt Gewitter über die Prärie – oder er entlässt einfach nur Trupps von dicken Kumuluswolken, die vor dem blauen Hintergrund wie eine Schafherde nach Osten marschieren. Die Kontinentalscheide ist hier auf eine ganz ähnliche Weise unsere Wetterküche, wie es der Eriesee war, als ich noch in Buffalo im Staat New York lebte. Ihr verdanken wir die seltenen Regenfälle hoch in den Bergen, die uns manchmal tagelang in dichten Nebel hüllen, oder den Chinook-Wind, der im Winter von Nordwesten herunterweht und binnen einer Stunde die Temperatur um fünfzehn Grad ansteigen lassen kann.
Sie blicken nach Westen und Sie können die hohen Gipfel, die fünfundzwanzig Meilen entfernt sind, kristallklar, konturenreich und scharf ausmachen – von meinem Bürofenster aus kann ich manchmal die Mummy Range in Wyoming, sechzig Meilen im Norden, und den Pikes Peak, hundertzwanzig Meilen im Süden, erkennen –, aber schauen Sie ein paar Stunden später hinaus, dann sind die Gipfel und das Vorgebirge hinter Schleiern verborgen, alles ist gedämpft und weich und in feinsten Schattierungen gemalt wie mit japanischen Wasserfarben.
Ich habe schon öfter über Berge geschrieben. In meinem Roman »Endymion – Die Auferstehung« habe ich eine Welt entworfen, in der die unteren Atmosphäreschichten giftig und voller Säure sind. Die menschlichen Kolonisten müssen über der tödlichen Suppe auf den Gipfeln, den Gebirgsketten und ihren Zinnen leben. Die Welt wird T’ien Shan genannt – die Berge des Himmels –, und an einer Stelle zählt meine Hauptfigur Raul Endymion etliche dieser Gebirgsregionen auf, die alle nach heiligen Gipfeln auf der Erde oder nach
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