Helix
einmal auf einen Berg gestiegen bist.«
»Ich war auf dem Mount Erebus«, bestätigte Kanakaredes. »Ich habe dort mehrere Monate geübt.«
Gary seufzte. »Der K2 ist nicht ganz das Gleiche wie der Mount Erebus.«
Darauf schwiegen wir einander eine Weile an. Der Wind heulte und peitschte mir das lange Haar ums Gesicht. Schließlich deutete Paul zum Gletscher, der in der Nähe des Basislagers eine Kurve beschrieb und an der Ostseite des K2, unterhalb des Broad Peak, anstieg. Ich konnte gerade noch die Stelle erkennen, wo der Gletscher am K2 auf die Abruzzi-Sporn traf. Dieser Grat, über den die Erstbesteigung des K2 versucht worden war und wo die erste erfolgreiche Besteigung im Sommer stattgefunden hatte, war unsere Ersatzroute, falls der Versuch, über den Nordostgrat und die Ostwand hochzugehen, nicht im Zeitplan zu verwirklichen war.
»Wir könnten natürlich über den Gletscher fliegen und mit dem Aufstieg am Fuß des Abruzzi-Sporns in 18.000 Fuß Höhe beginnen«, meinte Paul. »Auf diese Weise würden wir die gefährlichen Gletscherspalten meiden, aber wir wollen hier beginnen, weil es ein Teil des Aufstiegs ist.«
Kanakaredes sagte nichts. Seine beiden Primäraugen hatten durchsichtige Membranen, doch die Augen zwinkerten nicht. Er starrte Paul unbewegt an. Die beiden anderen Augen starrten wer weiß wohin.
Ich hatte den Eindruck, ich müsste etwas sagen. Irgendetwas. Ich räusperte mich.
»Verdammt auch«, sagte Gary. »Wir vergeuden wertvolles Tageslicht. Lasst uns packen und aufbrechen.«
Camp Eins, Nordostgrat, etwa 18.300 Fuß
Der K2 wird manchmal »der wilde Berg« genannt. Er hat noch hundert weitere Namen, und alle sind respektvoll. Der Berg ist ein Killer. Hier sind im Verhältnis zu denen, die den Aufstieg versucht haben, mehr Männer und Frauen gestorben als auf jedem anderen Gipfel im Himalaja oder im Karakorum.
Dabei ist der Berg nicht bösartig. Er ist einfach nur die Zen-Essenz eines Berges. Hart, groß, pyramidenförmig, wenn man ihn von Süden sieht. Von dort aus gesehen, entspricht er beinahe dem Matterhorn, wie es ein Kind zeichnen würde – gezackt, steil und mit Graten, die scharf sind wie Messer, häufig heimgesucht von Lawinen und heftigen Stürmen, und der im Grunde in den luftleeren Raum aufragende Gipfel wird ständig vom Jetstrom gepeitscht. Man mag das Vorstellungsvermögen noch so sehr verbiegen und den Berg zu personifizieren suchen, es wird nicht gelingen, ihn so erscheinen zu lassen, als gebe er auch nur einen Deut auf menschliche Hoffnungen und das Leben der Menschen. In gewisser Weise, auch wenn es schwierig zu erklären und politisch unkorrekt ist, es auszusprechen, könnte man sagen, dass der K2 zutiefst maskulin ist. Er ist ewig gleichgültig und unversöhnlich. Seit mehr als einem Jahrhundert wird er von Bergsteigern geliebt, sie triumphieren über ihn, und sie sterben auf ihm.
Jetzt war es an uns herauszufinden, in welche Richtung sich das Rad des Schicksals für uns drehen sollte.
Haben Sie schon einmal einen Mantispa laufen sehen? Ich meine, wir haben sie ja alle im HDTV oder VIP gesehen. Meine Güte, diese Wanzen haben sogar einen eigenen Satellitenkanal. Aber normalerweise sieht man dort nur schnelle Schnitte, Aufnahmen mit Teleobjektiven oder Standbilder des Sprechers, während ein paar politische Größen irgendwo in der Nähe herumstehen. Aber haben Sie einem von ihnen schon einmal längere Zeit beim Gehen zugeschaut?
Wenn man die oberen Regionen des Godwin-Austen-Gletschers unterhalb der elftausend Fuß hohen senkrechten Ostflanke des K2 queren will, dann hat man zwei Möglichkeiten. Man kann sich in der Nähe des Gletscherrandes halten, wo es nur wenig Gletscherspalten gibt, während die Lawinengefahr sehr hoch ist, oder man bleibt in der Mitte des Gletschers und weiß nie, ob der Schnee und das Eis unter den Füßen nicht plötzlich nachgeben, sodass man in eine verborgene Spalte durchbricht. Jeder Bergsteiger, der das Salz in der Suppe wert ist, entscheidet sich für den Weg über die Gletscherspalten, sofern es nur den leisesten Hinweis auf drohende Lawinen gibt. Mit genügend Geschicklichkeit und Erfahrung kann man den Gletscherspalten ausweichen. Wenn sich aber eine Lawine in Ihre Richtung bewegt, können Sie nichts mehr tun außer zu beten.
Wir mussten uns anseilen, um auf den Gletscher zu klettern. Gary, Paul und ich hatten schon darüber gesprochen und uns überlegt, ob wir mit der Wanze an Seilen klettern wollten, doch wenn wir
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