Hellas Channel
Stuhl sitzt. Ich weiß nicht, ob ich es bedauern oder ob ich aufatmen soll, daß uns Petratos entwischt ist. Jedenfalls habe ich nun die Hände frei, um mich ausschließlich Sovatzis zu widmen. Ich muß Gikas darüber informieren, doch das eilt nicht. Vorrangig ist, einen Aktionsplan zu entwerfen, wie ich mich an Sovatzis heranzupirschen gedenke. Am sichersten finden wir über Chourdakis, diesen Zollbeamten, einen Zugang zu ihm. Sobald Sotiris die nötigen Hinweise zusammengetragen hat, knöpfe ich ihn mir vor.
Plötzlich schießt mir eine Idee durch den Kopf. Ich suche herum und grabe die Fotokopie des Schreibens unseres unbekannten ›N‹ aus, das mir in Karajorgis Schreibtisch in die Hände gefallen war.
Über einen langen Zeitraum schon tue ich alles, was Du von mir verlangst, und immer wieder sage ich mir, Du wirst dein Wort schon halten. Doch Du führst mich nur an der Nase herum. Ich hin zu dem Schluß gekommen, daß Du nicht vorhast, mir entgegenzukommen. Du läßt mich immer nur warten, um mich erpressen zu können und Dir das zu holen, was Du willst. Doch jetzt ist Schluß, das geht nicht mehr so weiter. Diesmal werde ich nicht klein beigeben. Zwinge mich nicht zum Äußersten, denn Du bringst Dich um Kopf und Kragen, und die Schuld liegt einzig und allein hei Dir.
Ist möglicherweise unser unbekannter ›N‹ mit Nena Delopoulou identisch? Was könnte sie aber für die Karajorgi getan haben, um von ihr so lange an der Nase herumgeführt zu werden? Hatte sie möglicherweise mit ihrem Vater gesprochen, um der Karajorgi behilflich zu sein? Und sollte als Gegenleistung Petratos erhalten? Die Karajorgi hingegen ließ ihn nicht aus ihren Krallen, und die Delopoulou bedrohte sie offenkundig mit ihrer Entlassung. Bis die Karajorgi, die ihre Karriere nicht aufs Spiel setzen wollte, ihn an die Delopoulou abtrat. Diese Version kommt mir gelegen, da sich alle offenen Fragen auf bequeme Weise klären und wir uns nicht mit einem zusätzlichen Tatverdächtigen herumschlagen müssen.
Die Klingel des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist die Politou, die Untersuchungsrichterin.
»Erinnern Sie sich an Shehi, den Albaner, den Sie wegen Kinderhandels noch ein weiteres Mal verhören wollten?«
»Na und ob. Ich wollte mich bereits mit Ihnen in Verbindung setzen, doch Sie sind mir zuvorgekommen.«
»Ich hatte das Verhör für morgen angesetzt, doch ich mußte es gezwungenermaßen absagen. Er wurde gestern abend umgebracht.«
Diese Neuigkeit trifft mich wie ein Keulenschlag. »Wer hat ihn umgebracht?« frage ich nach einer Weile.
»Ein Landsmann. Er hat ihn auf der Toilette erstochen.«
»Und aus welchem Grund?«
»Der Täter behauptet, Shehi habe ihn bestohlen. Er bestand auf der Rückzahlung seiner angeblichen Schulden, Shehi lehnte kategorisch ab, ihm etwas zurückzugeben, und der andere versetzte ihm fünf Messerstiche in den Bauch. Er wurde sofort in das Allgemeine Staatliche Krankenhaus in Nikaia gebracht, doch er verstarb unterwegs an inneren Blutungen. Somit wird seine Strafverfolgung eingestellt, und der Fall wandert ins Archiv.«
»Vielen Dank, daß Sie mich verständigt haben«, sage ich formell und lege auf.
Ich zerbreche mir den Kopf, um dahinterzukommen, was die Ermordung des Albaners zu bedeuten hat. Auf den ersten Blick sagt sie mir nichts Besonderes. So etwas passiert jeden Tag, innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern. Ist es aber ein Zufall, daß er gerade zu dem Zeitpunkt getötet wurde, als ihn die Politou nochmals zum Verhör bestellen wollte? Wieder sehe ich die Karajorgi vor mir mit ihrer fixen Idee von den Albanerkindern. Sie ging sogar so weit, für eine Kopie meines Polizeiberichts Bestechungsgeld zu zahlen. War sie tatsächlich dermaßen sicher, daß der Albaner das Ehepaar nicht ins Jenseits beförderte, weil er der Frau nachstellte, sondern weil sie alle im Kinderhandel involviert waren? Freilich, so mußte es sein, denn so erklärt sich auch unser Fund der fünfhunderttausend Drachmen im Spülkasten der Toilette. Und jetzt trifft ihn das gleiche Schicksal wie die Karajorgi und die Kostarakou. Man hatte herausbekommen, daß er zu einem zusätzlichen Verhör gerufen wurde, und legte ihn um, um ihn zum Schweigen zu bringen. Woher wußte man aber davon? Hatte derjenige, der sich auch von der Karajorgi für die Beschaffung der Berichte schmieren ließ, die Information weiterverkauft? An wen konnte er sie weitergeben – an Chourdakis etwa? Das ist der einzige Name, der
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