Hellas Channel
auf. Jetzt muß ich ihm auch noch einen Schulaufsatz schreiben, damit er ihn dann auswendig lernen kann.
Normalerweise endet die Angelegenheit an diesem Punkt. Der Albaner hat gestanden und wird dem Untersuchungsrichter überstellt. Die Gerüchte um das Kind erweisen sich als Hirngespinst, der Leiter der Athener Kriminalpolizei stellt sich vor die laufenden Kameras und sagt den Reportern sein Gedicht auf. Und wir sind aus dem Schneider. In solchen Fällen beginnen mich immer Hummeln im Hintern zu quälen. Ich fange an herumzuschnüffeln und zahle am Schluß immer drauf.
»Sag mal, Thanassis, hast du vielleicht irgend etwas über ein angeblich vorhandenes Kind gehört?«
»Ein Kind?« wiederholt er fassungslos. Menschen wie Thanassis verhalten sich so. Plötzlich, aus heiterem Himmel, kommt ihnen eine intelligente Idee, und sie bringen unerwarteterweise etwas zustande. Was für ihre Verhältnisse an ein Wunder grenzt. Sobald man ihnen aber zusätzlich etwas abverlangt, worauf sie nicht vorbereitet sind, werden sie aus der Bahn geworfen. Ihre Selbstsicherheit bricht in sich zusammen, und sie sinken wieder in ihre Umnachtung zurück.
Ich blicke auf meine Uhr. Erst halb zehn. Noch zwei Stunden, bis die Journalisten aufkreuzen. Mir bleibt reichlich Zeit, um den Bericht für Gikas zu schreiben.
»Bring mir den Albaner zum Verhör.«
Er sieht mich an, sein ganzer Stolz ist mit einem Schlag wie weggeblasen. »Aber … Er hat doch schon gestanden«, stammelt er.
»Weiß ich doch. Aber die Karajorgi hat gestern in den Abendnachrichten noch eins draufgelegt, als sie verkündete, daß es ein Kind gibt. Gikas hat das gesehen und fragt jetzt nach. Klar gibt es nichts Derartiges, doch ich überzeuge mich lieber selbst, um ganz sicherzugehen. Ruf im Gefängnistrakt an und laß ihn vorführen.« Ich lasse ihn mit dabeisein, um ihm meine Wertschätzung zu zeigen. Er freut sich wie ein Schneekönig, breit grinsend stürmt er hinaus.
Der Albaner sitzt am selben Platz wie letztes Mal, doch seine Hände sind diesmal ohne Handschellen. Als wir eintreten, blickt er uns eingeschüchtert entgegen. Ich biete ihm eine Zigarette an.
»Ich schon alles sagen«, meint er, während er den ersten Zug einsaugt. »Der da kommen, und ich alles sagen.« Er zeigt auf Thanassis.
»Ich weiß. Keine Angst, du bist jetzt fein raus. Nur eine Frage noch, aus reiner Neugier. Weißt du, ob die beiden, die du umgebracht hast, Kinder hatten?«
»Kinda?«
Er sieht mich an, als ob bei einem jungen albanischen Ehepaar Kinder das Unwahrscheinlichste auf der Welt wären. Er gibt keine Antwort, nur sein Blick wandert langsam zu Thanassis. Der springt mit einem Mal auf, packt ihn am Kragen und reißt ihn in die Höhe, während er ihn anschreit: »Sag schon, du Arschloch! Hatten die Albaner Kinder? Rede endlich, sonst schlag ich dich windelweich!«
»Wenn man im Tiefschlaf liegt, kann einen nicht einmal Kanonendonner wecken«, pflegte meine selige Mutter zu sagen. Kaum hat der Siebenschläfer einem Untersuchungshäftling ein Geständnis herausgelockt, schon spielt er sich als harter Cop auf. Ich befreie den Albaner aus seinen Klauen und setze ihn wieder auf den Stuhl zurück.
»Ruhig, Thanassis. Wenn der Junge etwas weiß, wird er es uns ganz von alleine sagen. Nicht wahr?«
Die letzte Frage ist an den Albaner gerichtet. Er zittert aus mir unverständlichen Gründen am ganzen Leib. Es war doch nur eine ganz simple Frage, daraus kann ihm doch keiner einen Strick drehen. Thanassis hat ihn durch sein übereifriges Eingreifen verschreckt.
»Nein«, sagt er. »Pakise nix Kinda.«
Pakise hieß die junge Frau, die er umgebracht hat. »In Ordnung, das war’s«, sage ich freundlich. »Wir brauchen dich nicht weiter.«
Er sieht mich erleichtert an, als ob eine große Last von ihm gefallen wäre.
Ich kehre in mein Büro zurück und schreibe den Schulaufsatz für Gikas. Kinkerlitzchen. Dafür reicht ein Blatt aus einem Schulheft, das ich mit meiner großen, klobigen Handschrift fülle. Bloß eine Zusammenfassung der Tatsachen. Die sprachlichen Pirouetten fügt er selbst hinzu. Dann gehe ich zum ausführlichen Bericht über. Dafür brauche ich länger, doch nach einer Stunde bin ich damit fertig. Beides lasse ich zu Gikas bringen.
Ich greife nach dem Croissant, um es aufzuessen, und nach dem kalten, verwässerten Kaffee. Die Katze sonnt sich auf dem gegenüberliegenden Balkon. Sie räkelt sich und legt ihren Kopf auf die warmen Fliesen. Sie zählt zu den Lebewesen,
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