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Hellas Channel

Hellas Channel

Titel: Hellas Channel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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Lob kommt mir nur widerwillig über die Lippen und stellt Adriani überhaupt nicht zufrieden. »Nun ja, deine Art, dem anderen die Freude zu vergällen, ist unschlagbar«, sagt sie bitter. »Das ist dein Spezialgebiet.«
    »Sei nicht so undankbar!« rufe ich aus, und das Wörterbuch macht eine Bauchlandung am Fußende des Bettes. »Haben dir die Fünfunddreißigtausend nicht genug Freude bereitet? Reicht das nicht?«
    »Na, vielen herzlichen Dank! Weißt du, was meine Mutter immer sagte? ›Dein Wort in Gottes Ohr!‹« Sie macht kehrt und dampft aus dem Schlafzimmer, bevor ich zu einer Antwort ansetzen kann. Immer muß sie das letzte Wort haben.
    Schon wieder hadere ich mit mir. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen auszuspannen. Und was tue ich? Ich fahre aus der Haut. Ich greife wieder zum Wörterbuch. Bei seiner uneleganten Bauchlandung wurden einige Seiten zerknittert. Während ich mich abmühe, sie glattzustreichen, stoße ich auf das Wort Niete . Ich fühle mich sofort angesprochen und lese die Eintragung, um zu meinen Wurzeln zurückzufinden. Niete stammt aus dem Wort
    niet = Los, das nicht gewonnen hat. Im weiteren Sinne: Versager, Stümper, Flasche, Nichtsnutz, Null.
    Flasche deshalb, weil ich Adriani die Fünfunddreißigtausend gegeben habe, und sie schimpft obendrein noch wie ein Rohrspatz. Stümper deshalb, weil ich um jeden Preis herausfinden mußte, warum mir die Karajorgi immer wieder Spitzfindigkeiten über irgendwelche angeblichen Kinder zuwarf. Und dabei hatte ich doch den Fall bereits unter Dach und Fach gebracht. Und Null deswegen, weil ich Thanassis in die Sache hineingezogen hatte, um an die von mir gewünschten Informationen zu gelangen. Ich sehe schon Gikas vor mir, wie er sagt: ›Was für eine Niete habe ich da gezogen!‹ Er wird mich gehörig in die Mangel nehmen. Blindgänger nannte mich mein Vater immer. Damals wußte ich nicht, was das bedeutete, traute mich aber auch nicht, danach zu fragen. Denn immer wenn mein Vater das ausrief, war er fuchsteufelswild und hätte jede Frage meinerseits als ungebührliches Aufmucken aufgefaßt und mir postwendend eine Ohrfeige verpaßt. Das war das allererste Wort, nach dem ich suchte, als mir später einmal ein Wörterbuch in die Hände fiel.
    Blindgänger = Geschoß, dessen Sprengladung infolge eines Versagens des Zünders nicht detonierte, salopp: Versager.
    Vom Blindgänger zur Niete also. Welch ein spektakulärer Niedergang! Doch ich beschwere mich nicht. So ergeht es ja den meisten Menschen: Neun von zehn beginnen als Hinterwäldler und stellen sich als Nieten heraus.
    Das Stimmengewirr aus dem Fernseher bringt mich wieder auf den Boden der Tatsachen, und mir fällt ein, daß ich mir die Nachrichten ansehen wollte. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, daß ich gerade noch zwei Minuten Zeit habe. Ich bin mir sicher, daß der Karajorgi-Mord die Spitzenmeldung sein wird. Ich lasse das Wörterbuch auf dem Bett liegen und eile ins Wohnzimmer. Adriani sitzt bereits in ihrem Sessel, auf ihrem Lieblingsplatz. Sie hat ihren Blick auf die Mattscheibe geheftet und übersieht geflissentlich meine Anwesenheit, um mir meinen Fehltritt verstärkt vor Augen zu führen. Gerade lasse ich mich auf das Sofa fallen, als die erste Schlagzeile auf dem Bildschirm auftaucht: »Nachforschungen des Hellas Channel decken die unbekannten Hintergründe des abscheulichen Mordes an Janna Karajorgi auf.« Ich habe insgeheim damit gerechnet, daß sie ihre Spürhunde auf den Fall ansetzen würden, und lasse mich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Betroffenheitsfloskeln triefen dem Sprecher wie Geifer aus dem Mund. Wenn er jetzt sein Taschentuch nicht herauszieht, um sich die Tränen abzutupfen, dann wird er es nie tun. Er läßt es jedoch in der Brusttasche stecken. Vielleicht weil er ahnt, daß selbst die mediale Heuchelei ihre Grenzen hat.
    »Noch immer tappen die Ermittler im Fall des brutalen Mordes an Janna Karajorgi im dunkeln, verehrte Zuschauer. Daß sich die Polizei auf eine absolute Geheimhaltung versteift, hat zu einem Aufschrei der Empörung in der Bevölkerung geführt. Über unseren Sender ist heute eine Lawine von Telefonanrufen hereingebrochen. Unsere Zuschauer verlangen nachdrücklich nach Auskünften und protestieren gegen die Gleichgültigkeit der Polizei gegenüber der öffentlichen Meinung. Zunächst einmal bleibt nach wie vor eine entscheidende Frage unbeantwortet: Welche Enthüllungsstory wollte Janna Karajorgi in unserem Nachtjournal präsentieren? Dazu unsere

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