Helle Barden
schaffen. Laß ihn ein-
treten, Karotte.«
»Aber…«, begann der junge Mann.
»Ich habe dir einen Befehl erteilt. Für andere Dinge tauge ich vielleicht nicht mehr viel, doch ich bin nach wie vor imstande, dir einen Befehl zu
geben. Und hiermit erteile ich dir einen: Mach auf!«
Sechs Angehörige der Tagwache begleiteten Schrul e. Sie trugen Arm-
brüste. Da sie eine nicht sehr angenehme Pflicht erfül ten, die sich gegen Kol egen richtete, hielten sie die Waffen ein wenig gesenkt. Da sie keine Idioten waren, hatten sie die Sicherungsbolzen gelöst.
Eigentlich war Schrulle kein schlechter Kerl. Allerdings zeichnete er sich durch einen eklatanten Mangel an Phantasie aus. Er bekam es jeden Tag
mit jenen Unerquicklichkeiten zu tun, die Flecken auf der Seele mit ih-
nen konfrontierter Menschen hinterlassen*. Viele Leute stecken in einem
Beruf, der sie zumindest leicht überfordert. Es gibt unterschiedliche Re-
aktionen auf eine derartige Situation. Manchmal sind die betreffenden
Leute verunsichert oder nett; gelegentlich sind sie wie Schrul e. Mayon-
naise Schrulle vertrat folgenden Standpunkt: Es spielt keine Rolle, ob
man recht hat oder nicht; wichtig ist nur, entschlossen und energisch
aufzutreten. Eigentlich existierte in Ankh-Morpork keine Rassendiskri-
minierung in dem Sinne. Wenn Zwerge und Trolle in der Nähe wohnen,
spielt die Hautfarbe von Menschen keine Rol e mehr. Schrul e hingegen
sprach das Wort »Neger« voller Genuß mit zwei »g« und einem »i« aus.
Er trug einen mit Federn geschmückten Helm.
»Komm herein, komm herein«, sagte Mumm. »Wir haben ohnehin
nichts zu tun.«
»Hauptmann Mumm…«
»Schon gut. Wir wissen Bescheid. Gebt ihm eure Waffen. Das ist ein
Befehl, Karotte. Ein Dienstschwert, eine Pike oder Hel ebarde, einen
Schlagstock oder Knüppel, eine Armbrust. Stimmt’s, Feldwebel Colon?«
»Ja, Hauptmann.«
Karotte zögerte nur kurz.
»Na schön«, sagte er. »Mein Dienstschwert liegt dort drüben im Regal.«
»Und was ist das da an deinem Gürtel?«
Karotte gab eine nichtverbale Antwort: Er verlagerte das Gewicht und
spannte deutlich sichtbar die Muskeln.
»Das Dienstschwert, in Ordnung«, sagte Schrulle. Er gehörte zu den
Leuten, die sofort vor einem stärkeren Gegner zurückwichen, einen
Schwächeren jedoch gnadenlos angriffen. »Wo ist der Staubfresser?«
fragte er. »Und der Felsen?«
»Oh«, erwiderte Mumm. »Du meinst die Repräsentanten von zwei an-
deren intelligenten Spezies, die in Ankh-Morpork zu Hause sind. Oder
* So wie die Deutsche Bahn.
anders ausgedrückt: Deine Worte beziehen sich auf zwei Mitbürger, die
sich uns angeschlossen haben, um für Recht und Ordnung zu sorgen.«
»Ich meine euren Zwerg«, sagte Schrul e. »Und den Trol .«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo sie sich derzeit aufhalten«,
entgegnete Mumm. Angua glaubte fast, daß er wieder betrunken war.
Entfaltete Verzweiflung bei ihm eine ähnliche Wirkung wie Alkohol?
»Wir wissen es ebenfal s nicht«, ließ sich Colon vernehmen. »Haben
sich schon seit Stunden nicht mehr blicken lassen.«
»Wahrscheinlich prügeln sie sich im Steinbruchweg wie al e anderen«,
sagte Schrul e. »Solchen Burschen kann man nicht trauen. Das sol te
euch eigentlich klar sein.«
Angua fand Worte wie »Staubfresser« und »Felsen« ziemlich beleidi-
gend, aber sie wurden zu Komplimenten, wenn jemand wie Schrul e von
»solchen Burschen« sprach. Erschrocken stellte sie fest, wie ihr Blick zur Halsschlagader des Mannes glitt.
»Im Steinbruchweg gibt es eine Prügelei?« fragte Karotte. »Warum?«
Schrul e zuckte mit den Achseln.
»Wer weiß das schon.«
»Laßt mich mal nachdenken«, sagte Mumm. »Vielleicht steht sie im Zu-
sammenhang mit einer ungerechtfertigten Verhaftung. Viel eicht haben
einige der aggressiveren Zwerge nur auf einen Vorwand gewartet, um die
Trolle anzugreifen. Was meinst du, Schrulle?«
» Ich denke nicht nach, Mumm.«
»Ausgezeichnet. Die Stadt braucht mehr Männer deines Formats.«
Mumm stand auf.
»Ich gehe jetzt«, sagte er. »Wir sehen uns morgen. Fal s wir dann noch
leben.«
Hinter ihm fiel die Tür laut ins Schloß.
Es war ein riesiger Saal – seine Größe reichte an die eines Stadtplatzes heran. In einem Abstand von mehreren Metern stützten Säulen die Dek-ke. Viele Tunnel gingen von dem Saal aus, manchmal waren ihre Öff-
nungen nicht einmal in Bodenhöhe. Wasser tropfte oder rann aus ihnen,
kam von kleinen Quellen oder
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