Helle Barden
davon, ihren Schöpfer zu beißen. Tief in seinem Herzen weiß jeder Hund, daß er ein
böser Hund
ist…
Das wütende Bellen des Großen Fido brach den Bann.
»Packt sie!«
Angua raste über das Kopfsteinpflaster. Am anderen Ende der Gasse stand ein Karren, dahinter ragte eine Mauer auf.
»Nicht dorthin!« jaulte Gaspode.
Die Hunde folgten ihnen. Angua sprang auf den Karren.
»Ich kann nicht da rauf!« klagte Gaspode. »Nicht mit meinem kranken Bein!«
Angua kam wieder herunter, hob die kleine graue Promenadenmischung am Genick hoch, sprang erneut auf den Wagen und von dort auf das Dach eines Schuppens. Ein Satz auf einen Sims – einige Schindeln lösten sich, rutschten und fielen in die Gasse –, dann ein Haus…
»Mir ist schlecht!«
»Fei ftill!«
Angua lief über das Dach, hechtete auf der anderen Seite über die Gasse hinweg und landete auf einem uralten Strohdach.
»Aargh!«
»Fei ftill!«
Die Hunde folgten ihnen immer noch. In den Schatten waren die Gassen nicht sehr breit.
Eine weitere schmale Straße huschte unter ihnen vorbei.
Gaspode schwang im Maul des Werwolfs hin und her.
»Sie sind noch immer hinter uns!«
Er wimmerte, als Angua die Muskeln spannte.
»O nein! Nicht die Sirupzechenallee!«
Auf eine jähe Beschleunigung folgte eine kurze Phase der Ruhe. Gaspode kniff die Augen zu…
Angua landete. Einige Sekunden lang suchten ihre Pfoten auf dem nassen Dach vergeblich nach Halt. Schiefertafeln zerbrachen unten auf den Kopfsteinen und dann hastete der Werwolf zum Dachfirst empor.
»Du kannst mich jetzt absetzen«, sagte Gaspode. »Ich meine, jetzt sofort! He, da kommen sie!«
Die ersten Hunde erreichten das Dach auf der anderen Seite, sahen die breite Lücke und versuchten rechtzeitig zu bremsen. Ihre Krallen kratzten über den Schiefer.
Angua drehte sich um und schnappte nach Luft. Sie hatte den Atem angehalten – aus Furcht, daß ihr Gaspode in die Lunge geriet.
Der Große Fido bellte zornig.
»Feiglinge! Es sind nicht einmal sechs Meter! Eine Kleinigkeit für einen Wolf!«
Die Hunde starrten auf die Leere zwischen den beiden Dächern. Gelegentlich hat ein Hund das Recht, sich zu fragen: Zu welcher Spezies gehöre ich?
»Es ist ganz einfach! Ich zeige es euch! Paßt auf!«
Der Große Fido nahm Anlauf, sauste los und… sprang.
Seine Flugbahn ließ sich kaum als Kurve bezeichnen. Der kleine Pudel raste in den nur von Luft gefüllten Raum. Seine Antriebsenergie rührte weniger von seinen Muskeln her als von seiner brennenden Seele.
Seine Vorderpfoten berührten Schiefer, tasteten ohne Halt hin und her. Der Große Fido rutschte zurück, über den Rand des Daches…
… und blieb dort hängen.
Er blickte nach oben, zu dem Hund, der ihn festhielt.
»Gaspode? Bist du das?«
»Ja«, lautete die mit vollem Mund gegebene Antwort.
Der Pudel schien kaum etwas zu wiegen, doch Gaspode auch nicht. Er hatte nach dem Pudel geschnappt und versuchte jetzt, sich irgendwo abzustützen, aber das Dach war viel zu glatt. Er schlitterte über die Schieferplatten, bis er mit den Vorderpfoten in der Regenrinne hängenblieb, die langsam nachgab.
Deutlich sah Gaspode die Straße drei Stockwerke unter sich.
»Oh,
Mist
!« kommentierte er die Situation.
Jemand hielt ihn am Schwanz fest.
»Laff ihn lof«, sagte Angua undeutlich.
Gaspode versuchte, den Kopf zu schütteln.
»Hör auf fu fappeln!« wies er den Pudel an. »Braver Hund, Retter in der Not! Tapferer Hund, Retter auf dem Dach! Nein!«
Die Regenrinne knirschte und knackte.
Es ist soweit, dachte Gaspode. Hier findet mein trauriges Leben ein trauriges Ende…
Der Große Fido wand sich hin und her.
»Woran hältst du mich fest?«
»Am Halsband«, preßte Gaspode zwischen den Zähnen hervor.
»Was? Verdammtes Ding!«
Der Pudel zappelte noch heftiger und trat nach leerer Luft.
»Hör endlich auf damit, du Blödmann!« knurrte Gaspode. »Wenn du fo weitermachft, ftürfen wir beide in die Tiefe.« Auf dem Dach gegenüber starrten die Hunde voller Entsetzen.
Erneut quietschte die Regenrinne.
Anguas Krallen hinterließen weiße Linien auf dem Schiefer.
Der Große Fido strampelte, krümmte sich zusammen und streckte sich wieder, kämpfte gegen den Griff des Halsbands.
Das schließlich riß.
»Frei!«
Und er fiel.
Gaspode wurde jäh nach hinten gerissen. Etwas höher auf dem Dach ließ das Zerren an seinem Stummelschwanz nach, und er schaffte es aus eigener Kraft zum First. Dort verharrte er und schnaufte hingebungsvoll.
Angua
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