Hell's Angels (German Edition)
Flüchtlinge aus »der schäbigen Ecke des Motorradsports der östlichen USA« sowie »radikale Spinner, von denen einige in Orten rund um Laconia öffentliche Ämter bekleiden ...«
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Lügen! Ihr lügt! Ihr verbreitet alle nur Lügen über meine Jungs!
– Ma Barker
Im Spätsommer 1965 waren die Hell’s Angels zu einem Faktor geworden, mit dem im gesellschaftlichen, intellektuellen und politischen Leben Nordkaliforniens zu rechnen war. Fast täglich berichtete die Presse über sie, und keine auch nur halbwegs unspießige Party konnte ein Erfolg werden, wenn nicht das – vom Gastgeber gestreute – Gerücht umging, die Hell’s Angels kämen auch noch. Auch ich war peripher von diesem Syndrom betroffen, da mein Name immer häufiger in Zusammenhang mit den Angels genannt wurde und manche Leute der Meinung waren, ich könnte sie förmlich aus dem Hut zaubern, wann immer mir danach war. Dem war nie so, aber ich tat, was ich konnte, um den Angels so viele Gratis-Besäufnisse zu vermitteln, wie mir nur ratsam schien. Gleichzeitig hatte ich nicht die geringste Lust, für ihr Verhalten verantwortlich gemacht zu werden. Dass sie so weit oben auf vielen Gästelisten standen, machte, wenn sie diesen ganzen Trubel in vollem Galopp nahmen, ein gewisses Maß an Plünderungen und Körperverletzungen unvermeidlich. Ich erinnere mich an eine Party, auf der
mir einige Kinder und junge Mütter keine Ruhe ließen, weil die Angels nicht kamen. Die Gäste waren größtenteils arrivierte Intellektuelle aus Berkeley, deren Vorstellung von den Motorrad-Outlaws mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hatte. Ich erzählte den Angels von der Party und gab ihnen die Adresse, eine ruhige Wohnstraße in der östlichen Bay Area, hoffte aber, sie würden nicht kommen. Das ganze roch förmlich nach Ärger: Bergeweise eisgekühltes Bier, wilde Musik und Dutzende junger Frauen, die darauf aus waren, etwas Aufregendes zu erleben, während ihre Männer und sonstigen Begleiter über »Entfremdung« und »eine Generation in Aufruhr« diskutieren wollten. Auch nur ein halbes Dutzend Angels hätte die ganze Szene rasch auf einen sehr unersprießlichen Nenner reduziert: Wer fickt hier wen?
Es war genau wie in Bass Lake, nur mit einer anderen Art von Voyeuren: Hier war es das Hipster-Establishment der Bay Area, das die Hell’s Angels ebenso bereitwillig bei sich aufnahm wie damals die Touristenschar in dem schäbigen Bier-Supermarkt in der Sierra Nevada. 47 Die Outlaws waren absolut der letzte Schrei. Sie waren groß, schmutzig und aufregend – ganz anders als die Beatles, die klein, sauber und viel zu populär waren, als dass sie hätten angesagt sein können. Als die Beatles allmählich ins Out abdrifteten, hinterließen sie ein Vakuum, das die Angels ins In saugte. Und den Outlaws auf dem Fuße folgte Roth und sagte: »Sie sind die Wild Bill Hickoks, die Billy the Kids – sie sind die letzten amerikanischen Helden, die wir noch haben, Mann.« Roth war derart anglophil, dass er anfing, ihnen zu Ehren Kunststoffnachbildungen
von Nazihelmen mit schwungvollen Slogans drauf (»Jesus war ein Hype«) und Eisernen Kreuzen herzustellen, die er dann im ganzen Land an Teenager verkaufte.
Das einzige wirkliche Problem mit dem neuen Image der Angels war, dass die Outlaws selbst es nicht verstanden. Es stellte sie vor ein Rätsel, dass sie von Menschen, mit denen sie fast nichts gemein hatten, wie symbolische Helden behandelt wurden. Doch dadurch bot sich ihnen ein ganz neues Reservoir an Frauen, Alk, Drogen und neuer Action – sie stürzten sich darauf, und scheiß auf die Symbolik. Bloß kapierten sie die Rolle nie, die sie da spielen sollten, und bestanden darauf, ihren Text zu improvisieren. Das sorgte für Irritationen in der Kommunikation, was sie nervös machte – und nach einer kurzen Runde durch die Hipster-Partyszene beschlossen die allermeisten von ihnen, dass es langfristig gesehen billiger und bequemer war, seine Getränke selbst zu bezahlen und sich einem weniger komplizierten Typ Frau zu widmen.
Die einzige wirklich lohnende Beziehung, die ich für die Angels knüpfte, war die zu Ken Kesey, einem jungen Romancier 48 , der damals in einem Haus im Wald bei La Honda wohnte, südlich von San Francisco. In den Jahren 1965 und 1966 wurde Kesey zweimal wegen Marihuanabesitzes festgenommen und musste schließlich außer Landes fliehen, um einer langen Haftstrafe zu entgehen. Seine Verbindung zu den Hell’s Angels war nicht gerade dazu
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