Hell's Angels (German Edition)
Polizeitruppe der Stadt nervös Kaffee nach einer schlaflosen Nacht, in der sie versucht hatte, gut dreitausend Motorradfahrer in Schach zu halten. (Die Polizei spricht von viertausend; Motorradveteranen sprechen von zweitausend – also dürfte dreitausend ungefähr stimmen). Jedenfalls steht zweifelsfrei fest, dass so viele Motorräder in Hollister anwesend waren, dass tausend mehr oder weniger keinen großen Unterschied mehr machten. Und die Meute geriet zusehends außer Kontrolle; bei Sonnenuntergang war die ganze Innenstadt mit Bierflaschenscherben übersät und die Motorradfahrer veranstalteten auf der Main Street Beschleunigungsrennen. Faustkämpfe zwischen Betrunkenen wuchsen sich zu Massenschlägereien aus. Der Legende zufolge übernahmen die Biker buchstäblich die Stadt, widersetzten sich der Polizei, begrapschten die einheimischen Frauen, plünderten die Kneipen und traten jeden zusammen, der sich ihnen in den Weg stellte. Der Wahnsinn dieses Wochenendes lieferte so viele Schlagzeilen, dass sich ein bis dato unbekannter Filmproduzent namens Stanley Kramer und ein junger Schauspieler namens Brando dafür interessierten. 1966, kurz vor ihrem Tod, wurde die Hollywood-Klatschkolumnistin Hedda
Hopper auf die Hell’s-Angels-Gefahr aufmerksam und führte ihren Ursprung auf The Wild One zurück. Das verleitete sie dazu, Kramer, Brando und allen, die sonst noch etwas mit dem Film zu tun hatten, die Schuld an dem ganzen Outlaw-Phänomen zu geben. In Wirklichkeit aber war The Wild One – trotz einer zugegebenermaßen fiktionalen Handlung – ein geniales Stück Filmjournalismus. Statt im Stile von Time allgemein Bekanntes noch mal auszuwalzen, erzählte er von einem Phänomen, das gerade erst seinen Anfang nahm und zwangsläufig durch diesen Film mit beeinflusst wurde. Er verhalf den Outlaws zu einem romantisch überhöhten Bild von sich selbst, wie es zuvor nur wenige von ihnen in ihrem Spiegel hatten entdecken können, und wurde bald die Antwort der Motorradfahrer auf The Sun Also Rises [Zwischen Paris und Madrid] . Dieses Bild ist nicht zutreffend, aber seine allgemeine Akzeptanz kann man wohl kaum dem Film anlasten. The Wild One unterschied sorgfältig zwischen »guten Outlaws« und »bösen Outlaws«, aber die Leute, die davon am meisten beeinflusst wurden, identifizierten sich lieber mit Brando als mit Lee Marvin, dessen Schurkenrolle viel lebensechter war als Brandos Darstellung eines verwirrten Helden. Sie sahen sich als moderne Robin Hoods, als virile, schwerfällig sprechende Rohlinge, deren gute Instinkte bei ihrem Ringen um den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit irgendwann verformt worden waren, und die nun den Rest ihres gewalttätigen Lebens darauf verwandten, sich an einer Welt zu rächen, die ihnen Unrecht getan hatte, als sie jung waren und sich noch nicht wehren konnten.
Ein weiterer Beitrag Hollywoods zum Mythos der Angels ist ihr Name. Die Angels behaupten, sie seien nach einer berühmten Bomberstaffel des Ersten Weltkriegs
benannt, die in der Nähe von Los Angeles stationiert war und deren fliegendes Personal, wenn es sich nicht gerade in der Luft befand, auf Motorrädern in der Gegend herumflitzte. Andere behaupten, der Name der Angels rühre von einem Jean-Harlow-Film von 1930 her, in dem es um die Darstellung eines Fliegerkorps der US Army geht, das es zurzeit des Ersten Weltkriegs gegeben haben soll. Der Film hieß Hell’s Angels und wurde 1950 sicherlich immer noch gezeigt, als die rastlosen Veteranen, die in Fontana das erste Angels-Chapter gründeten, noch überlegten, was sie mit sich anfangen sollten. Obgleich der Name aus einer Zeit stammen mag, in der noch kein Hell’s Angel geboren war, war er Bestandteil der Geschichte irgendeines obskuren südkalifornischen Militärstützpunkts, bis Hollywood ihn berühmt machte und auch das Bild der wilden Männer auf Motorrädern mit prägte – ein Bild, das später von einer neuen Art gesellschaftlicher Außenseiter übernommen und drastisch abgewandelt wurde. Außenseiter, wie sie nicht einmal Hollywood sich hatte vorstellen können, bis sie dann leibhaftig auf den Highways Kaliforniens auftauchten.
Die Idee des »Motorrad-Outlaws« war so uramerikanisch wie der Jazz. Etwas wie sie hatte es noch nie gegeben. In mancher Hinsicht schienen sie eine Art Anachronismus zu sein, ein Überbleibsel aus der Epoche des Wilden Westens. In anderer Hinsicht aber waren sie so neu wie das Fernsehen. Es gab in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg
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