Hell's Angels (German Edition)
sagte, wehgetan habe es erst am nächsten Tag, nicht einmal, als er da im Regen lag und sich fragte, ob jemand von der Straße aus einen Krankenwagen für uns rufen würde, habe er Schmerzen verspürt.
Es gibt keinen heute aktiven Hell’s Angel, der diese Notaufnahmenszene noch nicht durchgemacht hätte, und eine der natürlichen Folgen daraus ist, dass ihre Furcht vor Unfällen durch eine unbekümmerte Geringschätzung körperlichen Verletzungen gegenüber sehr gemildert wird. Außenstehende mögen das als Wahnsinn oder mit anderen, ausgefalleneren Begriffen bezeichnen, aber die Angels leben in einer Welt, in der Gewalt so alltäglich ist wie vergossenes Bier, und sie leben so locker damit wie
Skinarren mit dem Risiko leben, sich die Beine zu brechen. Diese beiläufige Hinnahme von Aderlässen ist ein Schlüssel zu dem Entsetzen, das sie bei den Spießern auslösen. Selbst ein kleinwüchsiger, ungeschickter Straßenkämpfer ist gegenüber dem durchschnittlichen Mittelschichtsamerikaner, der sich seit seiner Pubertät nicht mehr geprügelt hat, gewaltig im Vorteil. Es ist einfach eine Frage der Erfahrung, so oft getreten und geschlagen worden zu sein, dass man das panische Gefühl vergisst, das die netten Leute mit einer ernsthaften Schlägerei assoziieren. Ein Mann, dem sie schon dreimal bei Prügeleien die Nase eingeschlagen haben, wird das auch ein weiteres Mal riskieren, ohne groß darüber nachzudenken. Das kann einem auch noch so viel Unterricht in irgendwelchen Kampfkünsten nicht beibringen – es sei denn, der Lehrer ist Sadist, und selbst dann wäre es schwierig, denn die Erfahrung des Schülers wäre auf künstlichem Wege erzeugt und beschränkt.
San Francisco ist eine Karate-Metropole: 1965 gab es in der Bay Area ungefähr siebentausend zahlende, aktive Karateschüler, aber in jeder Kneipe, in der es rege zugeht, kann man Geschichten über einen Barkeeper zu hören bekommen, der »einen Typ zusammengeschlagen hat, der versucht hat, irgendwelche Karatetricks zu bringen«. Es spielt kaum eine Rolle, wie viele dieser Geschichten wahr sind. Der Kern dieser Anekdoten ist zutreffend: Sieg und Niederlage in einer körperlichen Auseinandersetzung hängen fast immer von bedingten Reflexen ab. Ein Barkeeper mit vernarbten Fingerknöcheln schlägt schneller und fester zu als ein Karate-Anfänger, der noch nie blutig geschlagen wurde. Aus dem gleichen Grund fährt ein Hell’s Angel, der schon oft genug einen Highsider hingelegt hat, um darüber Scherze zu reißen, mit einer Klasse
und Unbekümmertheit Motorrad, die man nur durch schmerzhafte Erfahrungen erwirbt. 23
Nach einiger Zeit bei den Angels hatte ich mich so an den Anblick von Gipsverbänden, Bandagen, Armschlingen und eingeschlagenen Gesichtern gewöhnt, dass ich das als selbstverständlich hinnahm und mich gar nicht mehr erkundigte, was passiert war. Die guten Prügelstorys waren sowieso bald allgemeines Gesprächsthema, und die schlechten waren so fad und vorhersehbar wie die Pointen in einer Late-Night-Show. Die meisten ihrer Schlägereien liefern sie sich mit Außenstehenden, denen nicht klar ist, worauf sie sich da einlassen. Leute, die sie kennen, sind sich des »Alle für einen«-Ethos, das keine Verjährung kennt, nur allzu bewusst. Ein Angel ist in seinem Heimatrevier so sicher wie ein Mafiakurier in einem üblen Italienerviertel.
Doch trotz dieser unheimlichen Immunität übernehmen sie sich gelegentlich und werden dann von Leuten zusammengeschlagen, die entweder nicht wissen, was gespielt wird, oder denen das egal ist. Selbst Barger, nun im achten Jahr Präsident des Oakland-Chapters, gibt zu, dass man ihm schon die Nase gebrochen, den Unterkiefer angebrochen und Zähne ausgeschlagen hat.
Aber ein einziger Motorradunfall kann einen Mann schlimmer zurichten als ein Dutzend verheerend verlaufene Kämpfe. Funny Sonny aus Berdoo hat eine Stahlplatte im Kopf, eine Stahlstange im Arm, einen künstlichen
Fußknöchel und eine tiefe Narbe im Gesicht – und das alles von Stürzen. Seinen Spitznamen bekam er verpasst, weil die anderen Angels fanden, die Stahlplatte habe eine seltsame Wirkung auf sein Gehirn. Als die Berdoo-Angels im Oktober 1964 eine Fahrt nach Santa Ana unternahmen, kam Funny Sonny bei der dortigen Bevölkerung sehr gut an. Eine große Menschenmenge versammelte sich an der Straßenecke, an der er seine Schmähreden auf die Polizei, die Gerichte und die Gesellschaft im Allgemeinen hielt. Später sperrte man ihn ins Gefängnis,
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