Hell's Angels (German Edition)
aus Einheimischen zusammengetreten worden wäre, hätte es schon einer bewaffneten Kompanie bedurft, um das Gros der Outlaws davon abzuhalten, Rache suchend in die Stadt einzufallen. Ein Angriff auf den Präsidenten
wäre schon schlimm genug gewesen, aber unter diesen Umständen – ein von der Polizei geplanter Biereinkauf – wäre es der Beweis gewesen für einen heimtückischen Verrat, und die Angels hätten genau das getan, womit alle gerechnet hatten, als sie nach Bass Lake kamen. Die meisten hätten das restliche Wochenende dann entweder im Gefängnis oder im Krankenhaus verbracht, aber auch damit hatten sie gerechnet. Es wäre ein Aufruhr mit allem Drum und Dran geworden, aber rückblickend glaube ich nicht, dass bei dem ersten Zusammenstoß Chancengleichheit bestanden hätte. Viele aus der Bürgerwehr hätten in dem Moment die Lust an dem Kampf verloren, in dem ihnen klar geworden wäre, dass ihre Gegner jedem, den sie in die Finger bekamen, schwere Verletzungen zufügen wollten. Big Frank aus Frisco 32 beispielsweise hat einen schwarzen Gürtel in Karate und zieht mit der Absicht in jeden Kampf, den Leuten die Augen aus den Augenhöhlen zu reißen. Das ist ein traditioneller Karatetrick und gar nicht schwierig, wenn man es einmal gelernt hat – wird allerdings in den »Selbstverteidigungskursen« für Hausfrauen, Geschäftsleute und leicht aufbrausende Verkäufer, die es nicht ertragen können, wenn ihnen irgendjemand frech kommt, nicht unterrichtet. Die Absicht dabei ist, den Gegner zu demoralisieren, nicht ihn zu blenden. »Du reißt ihnen nicht wirklich die Augen aus«, erklärte Big Frank. »Du lupfst sie nur aus den Augenhöhlen. Das tut so weh, dass die meisten Leute einfach ohnmächtig umkippen.«
Doch so kämpfen heißblütige amerikanische Jungs normalerweise nicht. Und sie peitschen auch nicht mit
schweren Ketten auf Leute ein, die ihnen den Rücken zuwenden, und wenn sie sich in einer Schlägerei wiederfinden, in der solche Sachen geschehen, haben sie guten Grund, sich benachteiligt zu fühlen. Es ist eine Sache, wenn du einen Schlag auf die Nase abbekommst, aber etwas ganz anderes, wenn man dir die Augäpfel rausschnippt oder dir mit einem Schraubenschlüssel die Zähne einschlägt.
Wenn es also an diesem Nachmittag zu einer richtigen Schlägerei gekommen wäre, wären die Einheimischen vermutlich bereits beim ersten Zusammenstoß in die Flucht geschlagen worden. Und die Polizei hätte eine ganze Weile gebraucht, bis sie genug Kräfte zusammenbekommen hätte, um wieder die Oberhand zu gewinnen, und in der Zwischenzeit hätten die Outlaws allerlei Verwüstung am Eigentum des Kaufmanns angerichtet – Fenster eingeschlagen, kühlschränkeweise Bier geplündert und wahrscheinlich auch einige Registrierkassen geleert. Einige wenige wären von dem Kastanienkopf und seinen Mannen erschossen worden, aber die meisten hätten beim ersten Anzeichen für große Polizeipräsenz versucht zu fliehen. Das hätte zu wilden Verfolgungsjagden und Gefechten geführt, aber von Bass Lake ist es weit bis nach Angel-Land, und womöglich hätten nicht viele von ihnen es ganz bis nach Hause geschafft, sondern wären an Straßensperren geschnappt worden.
Barger wusste das und wollte nicht, dass es so weit kam. Aber er wusste auch, dass sie den Campingplatz nicht aus Gastfreundschaft oder Sorge um soziale Gerechtigkeit bekommen hatten. Tiny Baxter hielt eine Bombe in Händen, und er musste ganz vorsichtig zu Werke gehen, damit sie nicht hochging. Das war Bargers Druckmittel: die Gewissheit, dass sich seine Leute wie
wilde Bestien aufführen würden, wenn man sie zu sehr provozierte. Aber das zog nur, solange es ruhig blieb. John Foster Dulles hätte es vielleicht als »Gleichgewicht des Terrors« bezeichnet, eine labile Pattsituation, an der keine der beiden Seiten etwas ändern will. Ob es nun fair und gerecht war, dass sich ausgerechnet eine idyllisch gelegene amerikanische Gemeinde in so einer Lage wiederfindet, stand hier wieder einmal nicht zur Debatte. So seltsam und irreal sich diese Konfrontation in Bass Lake für Radiohörer in New York oder Chicago angehört haben mag – vor Ort zweifelte niemand an der Realität dessen, was da vor seinen Augen ablief. Ob recht oder unrecht – es geschah einfach, und als sich die Angels dann in Willow Cove niedergelassen hatten, wurde sogar die vor Ort erwirkte Verfügung irrelevant. Mit den Outlaws musste dann einfach nach Maßgabe der momentanen Umstände umgegangen
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