Hell's Kitchen
die herabfielen wie spanisches Moos an Kiefern.
Ich stand auf und ging nach vorn zur Bühne. Ich hatte nicht bemerkt, wie viele Schritte ich gemacht hatte, bis ich direkt am Bühnenrand stand, nahe genug, um das Brennen der Scheinwerfer und die Hitze des dichtgedrängt stehenden Publikums zu spüren. Mona entdeckte mich in der Dunkelheit unter ihr. Sie winkte, zeigte auf mich, zwinkerte mir zu. Ein paar der Onkel drehten sich um, warfen einen Blick auf den Glücklichen.
Mona begann, in Kreisen auf der Bühne herumzugehen, stellte mit jedem einzelnen von uns Blickkontakt her, zeigte und zwinkerte. Sie warf einen Handschuh in die Menge. Sie ließ einen Pelz von einer Schulter gleiten und gab uns Zeit, diese erste Entblößung ihrer cremefarbenen Haut zu bewundern. Ich wußte wieder, was Verlangen war, und ich wußte, warum die menschliche Rasse weitermachte. Und die Onkel um mich herum brüllten und stampften wie eine Horde Schweine, die endlich den Sinn von Schlamm entdeckt hatte.
Sie ließ die anderen Pelze auch noch fallen, bis sämtliche Augen auf den Goldlamé-Sarong mit den Schlitzen fixiert waren, die ihre Beine einrahmten. Und dann zog sie den Hut vom Kopf und schüttelte ihr langes, schwarzes Haar aus. Wir schnappten kollektiv nach Luft.
Sie verbeugte sich. Dann nahm sie ein Mikrophon, ging auf einen Barhocker zu, der allein in einem rosafarbenen Lichtkegel am Rand des Laufsteges von der Bühne stand.
Zuerst lehnte sie sich nur auf den Hocker, dann hob sie ein Bein und ließ es daraufgleiten. Und dann fragte sie ihre Fans: »Möchtet ihr einen kleinen Song hören?« Ihre Lippen berührten leicht das Mikrophon.
O ja, ihre Fans wollten unbedingt einen kleinen Song hören.
Und so wechselte die Band von der Improvisation zur Melodie, und Mona schürzte die Lippen und schloß die Augen und schlug ihre umwerfenden Beine übereinander. Schlug sie dann gleich noch mal übereinander.
Sie ließ die Schuhe von den Füßen fallen, als wären es überreife Trauben. Und sie wackelte mit ihren zehn buntlackierten Zehennägeln und sang einen alten, zweideutigen Song, so wie ihn vielleicht Betty Boop gesungen hätte - einen wunderbar erregenden Song über eine Lady, die traurig darüber war, kein richtiges Geburtstagsgeschenk für ihren Beau zu haben, und wie sie daher vorschlug, das wiedergutzumachen, indem sie ihm ihre »Popsicle Toes« anbot. Und in diesem Augenblick, im Rotlichtbezirk des Times Square, wo die Phantasie fast gänzlich getötet worden war, waren Monas alter Song und die sanfte, laszive Art, wie sie sich bewegte, wunderbar und überwältigend.
Mona neigte ihren Kopf, während sie sang und sich behutsam aus ihrem Goldlamé herausarbeitete. Mit dem winzigsten Lächeln, und das war mehr als alles andere, das sie von sich zeigte, schaffte sie es, daß wir in die Tiefen unserer Instinkte griffen, um sie zu begehren. Denn sie war schön, und ein Star, und ein Rätsel.
14
Während Mona sich nach ihrem Auftritt umzog - während sie sich genaugenommen angemessen für das Abendessen kleidete -, erledigte ich drei Anrufe.
Als erstes rief ich das Harlem Hospital an, wo ich mit der Oberschwester der Nachtschicht sprach.
Wie es schien, hatte Father Love zufriedenstellend auf die Bluttransfusion angesprochen, aber gleichzeitig war er in einen halbkomatösen Zustand gefallen, der nach Aussagen der Ärzte unter diesen Umständen manchmal einen natürlichen stabilisierenden Einfluß haben konnte, manchmal aber auch nicht. Jedenfalls würden sie die nächsten achtundvierzig Stunden nichts Definitives sagen können.
»Und was dann?« fragte ich.
Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Ich hörte ein Knistern in der Leitung, was von dem Latex stammen konnte, das unter ihrer weißen gestärkten Uniform ordentlich strapaziert wurde - oder auch das Geräusch ihrer Verzweiflung. Ich hatte schon mit Hunderten von Krankenschwestern zu tun, und ich bin noch keiner begegnet, die besonders glücklich war, etwas sagen zu müssen, das nicht ein wörtliches Zitat eines Arztes war. Diese hier sagte: »Tja, ich würde sagen, in achtundvierzig Stunden befindet er sich entweder immer noch unter uns... oder er ist, da er ja nun mal ein Reverend ist, im Himmel.«
Ich sagte, es hätte wahrscheinlich wenig Sinn, pauschales Vertrauen in erstklassige Reservierungen für heilige Männer zu haben, deren Leben an einem seidenen Faden hing. Sie antwortete, daß sie es für jemanden in einem so gefährlichen Beruf wie dem meinen nicht für
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