Helvetias Traum vom Glück (German Edition)
er. Wo war ich gleich noch … Ah ja, bei Ines. Sie ist dann diese unsägliche Liaison mit diesem Weller eingegangen. Ein Mann ohne Kultur. Schrecklich. Ich habe einige Male das Gespräch mit ihm gesucht. Ein Prolet! Wie konnte sich Ines nur mit einem solchen Menschen einlassen. Ich verstehe es bis heute nicht. Sie sind dann aufs Bruderholz gezogen. Natürlich aufs Bruderholz! Das Elternhaus von Ines war diesem Hochstapler nicht gut genug. Dekadent! Einfach dekadent! Ich versuchte mehrmals, Ines das Haus abzukaufen, leider ohne Erfolg. Ja, und jetzt steht es seit Jahren leer und lockt Verbrecher an. Eine schlimme Zeit, in der wir leben.»
Von der Mühll nickte, als würde er seinen eigenen Worten zustimmen. Ferrari verlor langsam die Geduld. Es war höchste Zeit zum Gehen.
«Vielen Dank für Ihre ausführlichen Schilderungen, Herr von der Mühll. Sie haben uns wertvolle Hinweise gegeben. Komm, Nadine, wir gehen.»
Der Professor schüttelte Nadine väterlich lächelnd die Hand und nickte dann flüchtig Ferrari zu, ohne ihn anzusehen.
«Das ist eine sehr interessante Tätigkeit, Herr Professor», äffte Ferrari seine Kollegin nach, als sie ausser Hörweite waren. «Der Herr Kommissär meint es nicht so. Aber der degenerierte Trottel da oben denkt, dass er der geistige Führer der Menschheit ist. Ich bin ein Ignorant. Die Elite der Bevölkerung besucht natürlich ein Internat. Am besten in den Bergen oder am Genfersee oder so. Und nicht eine kümmerliche Staatsschule.»
«Was regst du dich so auf, Francesco? Das macht unseren Job doch abwechslungsreich und spannend. Immer wieder neue Menschen kennenlernen, die uns sonst nie und nimmer über den Weg laufen würden. So wie dieser kurlige Professor. Du musst das Ganze mit mehr Gelassenheit und Humor betrachten. Du kannst noch viel von mir lernen, Chef.»
Zurück im Kommissariat erkundigte sich Ferrari, ob am Freitagabend jemand bei einem Einbruchversuch in der Petersgasse erwischt wurde. Negativ. Die flüchtige Person hatte mit einem Glasschneider ein Loch ins Fenster geschnitten. Wahrscheinlich wollte sie eben ins Haus einsteigen, als von der Mühll sie ertappte.
«Ich denke, dass Irina, falls sie es gewesen ist, aus Versehen das Fenster einschlug. Sie hat sicher einen gehörigen Schrecken bekommen, als von der Mühll aus dem Fenster brüllte. Am linken Rand des Fensters konnten die Kollegen fein säuberlich einen Schnitt feststellen. Schade, dass es ihr nicht gelungen ist, unbemerkt einzudringen.»
«Wo ist sie nur, Francesco? Es ist saukalt. Sie ist schwanger. Hoffentlich finden wir sie, bevor ihr etwas geschieht. Sollen wir nochmals Helen aufsuchen?»
«Das bringt nichts. Jetzt können wir nur abwarten, Tee trinken und darauf vertrauen, dass die Kollegen sie finden. Gibt es eigentlich nichts Neues von Ruedi Fink?»
«Nein, immer noch keine Spur von ihm. Dagi hat versprochen, mich anzurufen, wenn sie etwas von ihm hört, und das wird sie auch tun. Was ist, wenn mich Borer hier sieht?»
«Das lass mal meine Sorge sein.»
Wie auf Befehl klopfte es an die Tür. Nadine zuckte zusammen und zog instinktiv die Schultern hoch. Doch es war nicht der Staatsanwalt, sondern Stephan Moser. Zum Glück.
«Ihr kennt das Wort Wochenende wohl auch nicht, was? Also meine Schicht ist in dreissig Minuten zu Ende. Ich wollte euch nur daran erinnern, die Akten spätestens morgen zurückzubringen, vorausgesetzt ihr braucht sie nicht mehr. Georg ist diesbezüglich ziemlich pingelig.»
«Kein Problem, ich bringe sie ihm im Laufe des Tages.»
Stephan warf einen flüchtigen Blick auf das Foto, das auf Ferraris Klubtisch lag und Helen und Irina im Europa-Park zeigte.
«Die da sieht aus wie die Schwangere, die gestern in erbärmlichem Zustand am Rheinbord eingesammelt wurde. Weiss der Teufel, was sie dort unten wollte. Vermutlich ist sie ihrem Alten ausgebüxt oder so. Hat sich wohl eine Lungenentzündung eingefangen. Sieht nicht gut aus für das Kleine.»
Nadine spürte förmlich, wie ihr das Adrenalin durch die Adern schoss.
«Die hier?»
«Exakt. Gib mir mal das Foto … doch, das ist sie. Wir machen von Obdachlosen immer ein Foto. Aber es ist selten eine junge Frau dabei. Eine Ausländerin. … Doch, das ist sie. Das Foto liegt unten bei Georg auf dem Tisch.»
Nadine griff nach den Akten.
«Ich bringe sie Georg gleich zurück. Danke, Stephan.»
Einige Minuten später wussten sie, dass es sich bei der Obdachlosen tatsächlich um Irina Löffler handelte. Sie war unten am
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