Hendlmord: Ein Starnberger-See-Krimi (German Edition)
dass es hinterher gescheit schneidet, sonst kannst du das Scheren gleich bleiben lassen, weil du die Wolle am armen Tier mehr ausrupfst, als dass du es geschmeidig vom Wintermantel befreist. Obwohl die Schneideisen möglichst plan sein sollen, ist es eine Kunst, einen minimalen Hohlschliff reinzubringen. Blöd wäre es, wenn das Messer und der Kamm einen Buckel kriegen und dadurch nur in der Mitte und nicht am Rand schneiden. Also, volle Konzentration ist angesagt und ein bisschen Gefühl. Ein Friseur wird verstehen, was ich meine. Ich halte die erste Kammplatte mit Hilfe eines Schleifklotzes an die Scheibe. Fliegen die Funken, passt es, funkt’s nicht mehr, gehört’s nachgeschmirgelt.
Nach ordentlichem Funkenflug gehe ich die Schafe von der Weide holen. Die Herde grast, sieht auf und glotzt mich an, als sei ihr Bäuerchen durchgeknallt. Mitten am Nachmittag schon in den Stall? Ja spinnt der denn, da kriegt man ja kaum was zum Wiederkäuen zusammen. Nur Herzchen, die Anführerin, kann ich mit einem abgebrochenen Zweig vom Wegrand herlocken. Träge folgen auf meinen Pfiff schließlich doch die anderen nach und trotten gemächlich zum Hof. Verdenken kann ich’s ihnen nicht, die letzten zwei Tage hat sich mehr der Emil um sie gekümmert, sogar die Futterraufen und Wasserkübel in der Früh hat er gefüllt. Der Bub macht was mit bei dem Vater! Ein Rest Selbstbedauern saust mir durchs Hirn, das kehre ich mit dem Besen samt allem, was vor dem Stall rumliegt, zusammen, lege mir eine saubere Unterlage zurecht und hole das erste Schaf.
Wenn die Tiere vollgefressen sind, tun sie sich etwas schwer mit dem Hinsetzen, aber ich mag’s lieber ruhig, als dass sie mir die Ohren vollplärren mit: «Getrocknetes Gras, ich will getrocknetes Gras.» Oder kürzer: «Heu her, Heu, Heu, Heu.»
Als Erstes kommt die Nelke dran. Ich kraule ihr das Kinn und den Hals, drücke ihr mit der linken Hand den Kopf nach hinten und gleichzeitig mit rechts aufs Hinterteil. Ehe sie es richtig mitkriegt, knickt sie ein und sitzt bewegungslos wie auf einem unsichtbaren Friseurstuhl. Jeder Schäfer hat seine eigene Technik, die Schnellscherer auf dem Münchner Landwirtschaftsfest fangen nach dem Bauch mit dem linken Hinterfuß an. Ich mach’s umgekehrt, von oben nach unten, weil ich mit dem Schaf und dem Wollwuchs gehe und nicht dagegen. Vom Hals abwärts schere ich runter, rechter Vorderfuß, rechte Flanke, rechter Hinterfuß, Schwanz und so weiter. So schneide ich bis zur Wirbelsäule, dann ist Halbzeit, halb Wintermantel, halb luftige Sommerkrause. Mit der linken Seite genauso. Am Ende löst sich ein ganzes Vlies, und ich helfe ihr, wieder aufzustehen. An das neue Körpergefühl muss sie sich erst noch gewöhnen, schließlich hat sie ein paar Kilos los. Sie schüttelt sich und trippelt leicht und befreit zurück in den Stall. Bei ihrem Anblick drängt sich die Herde dicht zusammen. Gefahr im Verzug. Wer soll denn die Spindeldürre da sein? Eine FKK -Anhängerin? Ein Wolf im Schafspelz kann’s nicht sein, der ist ab. So ähnlich fühle ich mich auch, schießt es mir durch den Sinn, wie ich Schaf Nummer zwei heraushole. Nackert, entblößt vor der ganzen Gemeinde, die umliegenden Dörfer eingeschlossen. Gerüchte kennen keine durchgestrichenen Ortstafeln und fliegen mit Lichtgeschwindigkeit in die neugierigen Tratschmäuler. Da hilft nur eins, die anderen auch ausziehen. Nur wie? Grübelnd arbeite ich mich von einem zum nächsten vierbeinigen Wollknäuel. Die Lösung ist da, irgendwo an einer verfilzten Stelle, aber ich komm nicht drauf. Noch mal von vorne, also nicht ganz von vorn, beim ersten Nasenmanndln, sondern in der Früh, als ich das Augsburger Massaker entdeckt habe. Was war da, was hab ich übersehen vor lauter Schmerz über meine toten gefiederten Lieblinge? Ich muss da weiter ermitteln. Ich meine, offizieller Ermittler möchte ich gar nicht sein, im Anzug oder einer Uniform, da graust es mir: vor einem Chef strammstehen, Ergebnisse vorweisen, Berichte schreiben. Verhaften und die Verdächtigen ausquetschen. Bisher habe ich die Leute auch ohne Dienstmarke zum Reden gebracht. Lieber mache ich meinen eigenen Stiefel in meinen eigenen Stiefeln. Wenn ich das Geschmier an der Hauswand sehe, dann reite ich mich nur noch weiter rein, je länger ich nichts unternehme. So tun, als ob nichts wäre, das ist vorbei. Ich muss selber den Mörder finden, nur so kann ich den anderen beweisen, dass ich unschuldig bin. Auch wenn mir bei dem
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