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Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schleswig-Holstein.
    Ich hab den ganzen Wochenverdienst auf den Kopf gehauen. Ich hab eine große Lammkeule gekauft und drei Flaschen Champagner,
     Lychees und Zitroneneis und das teuerste und dickste und weichste Klopapier, das es gab. Ich war schon am frühen Mittag wieder
     zu Hause, ich hatte also noch viel Zeit bis zum Abend, und ich dachte, ich schau mal in Lisas Loft vorbei, Dieter ist sicher
     am Arbeiten. Ich hab also einen kleinen Spaziergang gemacht zu Lisas Loft, aber die Holzlattentür war mit einer Kette und
     einem großen Vorhängeschloss von außen versperrt. Es hatte sich also niemand von innen eingeschlossen. Ich guckte sicherheitshalber
     noch durch die Latten, aber da war tatsächlich keine Menschenseele.
    Also bin ich wieder heim. Ich bin durch die Wohnung gelaufen, und da fiel mir das von meiner Omi vor den Russen gerettete
     Schmuckkästchen ein. Ich bin in Omis Schlafzimmer gegangen und da stand es auf dem Nachttisch, und ich setzte mich auf Omis
     Bett und machte das Schmuckkästchen auf. Da waren die kaputten Silberkettchen, die Bernsteinbrosche, die ein vierblättriges
     Kleeblatt darstellte, und die goldene Kette mit dem verschnörkelten Barockanhänger mit den Süßwasserperlen. Und eben Omis
     Uhr.
    |94| Plötzlich fiel mir ein, dass ich nicht daran gedacht hatte, was aus diesen schönen Andenken werden sollte, und es gefiel mir
     ganz und gar nicht, dass Sophie oder Lisa sich die Teile unter den Nagel reißen würden. Also hab ich das Schmuckkästchen aus
     Omis Zimmer in mein Schlafzimmer gebracht und unter dem Monopoly- und dem Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel und den Impfpässen
     in meinem großen Schrank versteckt. Aber ich wusste, dass mir dazu noch was einfallen musste, heute noch, am besten gleich,
     und das müsste ich genauso testamentarisch festlegen wie den juristisch einwandfreien Abschiedsbrief, den ich auch fast vergessen
     hatte. Also. Ich habe im Wohnzimmer schönes Büttenpapier von der Omi in einer Mappe gefunden und mich hingesetzt und habe
     richtig mit Füller den Brief geschrieben. Dass ich halt aus freiem Willen aus dem Leben trete und dass ich bei absolut klarem
     Verstand bin. Und dass, wenn man eines Tages das von meiner Großmutter vor den Russen gerettete Schmuckkästchen finden würde,
     der Schmuck darin verkauft und der Reinerlös an die Restaurationswerkstatt für Gemälde der Leningrader Eremitage gehen sollte.
     Ich wusste zwar, dass das meiner Großmutter nicht recht sein würde, dass der Inhalt des Schmuckkästchens nun am Ende doch
     noch den Russen in die Hände fallen würde, aber ich fand es gut so und dachte: ›Omi, diesmal setzte ich mich über deine Meinung
     hinweg. Das ist nicht so schlimm, als wenn Lisa oder Sophie damit rumlaufen.‹
    Dann habe ich in dem Brief meine Freunde schriftlich um Entschuldigung gebeten, dass ich mich in ihrer Gesellschaft umbringe
     und dass ich sie mit der ganzen Sache behellige und dass sie mir verzeihen mögen, aber alleine hätte ich zu viel Angst gehabt.
     Das wollte Lisa so, damit für die Polizei und die Behörden auch ja kein Verdacht aufkommt.
    Dann war der Brief fertig. Ich habe ihn, darauf hatte mich |95| Lisa extra aufmerksam gemacht, mit vollem Namen unterschrieben und genau datiert. Ich steckte ihn zu der Lammkeule und dem
     Champagner und zog wieder mein schönes weinrotes Minikleid an und die weißen Sandalen. Da klingelte es auch schon und Ernst
     und Sophie holten mich ab. Ernst in seinem großen Auto, die beiden saßen vorn und ich kletterte nach hinten, und so fuhren
     wir los zu Lisas Landhaus in Schleswig-Holstein.
    Sophie war die Situation unangenehm, jedenfalls fing sie sehr verlegen an, sich bei mir zu entschuldigen, aber nicht für die
     Tatsache, dass ich ihrem Vater je nach Verlauf möglicherweise eine Niere spenden würde (ich hatte jedenfalls keine Anordnung
     getroffen für nach meinem Tod, die konnten theoretisch mit mir machen, was sie wollten), sondern dafür, dass sie mir Ernst
     ausgespannt hatte. Sie druckste rum, sie habe mir ehrlich nicht wehtun wollen, wo wir uns doch schon so lange kennen, aber
     sie hätte sich halt unsterblich in Ernst verliebt und nichts dagegen machen können. Und sie wollte auf gar keinen Fall meine
     Freundschaft verlieren. Ich habe ihr geantwortet, dass sie die Klappe halten soll und dass ich ihr ja verzeihe. Und sie sagte,
     oh ja, das soll ich bitte tun, gerade jetzt, wo ich doch schon mit einem Bein im Grab und so.
    Ernst, der merkte, dass es

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