Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hendrikje, vorübergehend erschossen

Titel: Hendrikje, vorübergehend erschossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
›Du weißt, dass dein Spitzname
Goebbels
ist, bei allen hier, nicht wahr, das hast du doch mitgekriegt?‹, fragte ich, und sie starrte mich an, als wär sie versteinert.
    Ich merkte, dass der doofe Bruno alles mit anhörte, er saß ja direkt bei uns am Tresen und schaute uns ganz unverhohlen zu.
    ›Sag mal, du hast ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!‹, brach es plötzlich aus Maria Goebbels raus, und ich wurde immer
     ruhiger und sagte: ›Genau das meine ich, diesen Ton jetzt. Hör dir mal zu. Du kommst morgens hier rein und kommandierst rum
     wie auf’m Kasernenhof, und |90| mittags noch mal und am Abend wieder. Ganz abgesehen davon, dass mir das stinkt, hast du dir mal überlegt, wie die Gäste das
     finden? Die kriegen das nämlich jeden Tag mit und manche haben sich schon bitter bei mir beklagt über dich. So ist das nämlich,
     und nicht umgekehrt. Und hast du es eigentlich nötig, jede alte Oma, die Kuchen ohne Sahne bestellt, zu bescheißen und ihr
     Sahne draufzuknallen? Damit du 30 Cent mehr verdienst? Dabei sagen das die alten Leute nicht einfach so, sondern die haben
     schlimme Cholesterinwerte und verkalkte Arterien, und du mit deiner Sahne bringst sie für 30 Cent um!‹
    ›Raus!‹, fauchte die Goebbels. ›Sofort raus!‹
    ›Ich bin schon weg‹, sagte ich, packte aber in Seelenruhe weiter meine Sachen zusammen, ohne jede Eile.
    Um ihre Worte mit Taten zu untermauern, riss Goebbels die Geschirrspülmaschine auf, ein Schwall heißer Dampf kam heraus und
     hüllte sie kurzfristig ein, während sie lärmend begann, das Geschirr auszuräumen. Sie pfefferte die Teller und Cappuccinotassen
     links und rechts von mir auf den Tresen, dass ich mir vorkam wie das Girl im Zirkus, das mit fliegenden Messern umtackert
     wird.
    Der doofe Bruno saß daneben und grinste. Ich glaube, es gefiel ihm, dass Goebbels sich mal richtig ärgern musste.
    Schließlich hatte ich meine Sachen gepackt, und Goebbels baute sich gebieterisch vor mir auf, mit einem Stapel großer Salatteller
     in den Händen, und schaute mich fuchsteufelswild an. Dabei zog sie ihre erst vor wenigen Wochen tätowierten Augenbrauen, die
     sie völlig entstellten, gewitterhaft zusammen. ›Gibt’s noch was?!‹, fragte sie wütend.
    Und ich fragte: ›Was wirst du tun? Wirst du den Typen verklagen?‹
    Sie wusste nicht, wen ich meinte, war kurz irritiert und fragte: ›Verklagen? Wen jetzt? Welchen Typen verklagen?‹
    |91| ›Na den, der dir diese Balkenüber die Augen tätowiert hat.‹
    Der doofe Bruno lachte leise. Goebbels knallte die Teller auf den Tresen und wurde ein kleines bisschen handgreiflich. Also
     sie schubste mich hinter’m Tresen weg und sagte: ›Los, mach, dass du rauskommst.‹
    Der doofe Bruno kicherte immer noch. Er fand das wohl alles hochkomisch, und als ich draußen auf der Straße stand, dachte
     ich plötzlich: ›Nee, Bruno, so kommst du mir nicht davon.‹
    Ich bin – und ich könnte kotzen, wenn ich daran denke – tatsächlich zurück ins Café gegangen. Ich habe mich einigermaßen aufgebaut
     vor Bruno und habe ihm gesagt, dass er sich ja nicht zu früh freuen soll und dass ich
auch
froh bin,
ihn
nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen mit seinen gelben Frotteesöckchen in seinen Gesundheitssandalen. Und dass sein Rauschebart
     eine optische Zumutung ist und sein ewiges distinguiertes Getue, also sein ewiges Klappehalten, eine Gemeinheit. ›Ich werd
     dich nicht vermissen!‹, hab ich ihm ins Gesicht gesagt. Ich weiß noch, dass er bleich wurde und dann bin ich rausgerauscht.«
    Hendrikje schüttelt den Kopf und kneift schamvoll die Augen zu.
    Das wundert die Palmenberg. »Nun ja, Hendrikje, das war zwar nicht die feine englische Art, aber Sie haben sich wenigstens
     mal Luft gemacht, das wurde doch Zeit. Ich kann das nur positiv bewerten und Ihnen dazu gratulieren.«
    Aber Hendrikje schüttelt immer noch den Kopf und hat immer noch in Entsetzensgeste die Hand vor’m Mund und verliert jetzt
     tonlos ein paar Tränen.
    Die Palmenberg erschrickt: Hier steckt offenbar ein sehr ernster, ganz wichtiger Kern. Knackpunkt. Schlüssel. Bruno?
    »Sagen Sie, Hendrikje, es ist aber nicht Bruno einer von den anderthalb Menschen, die Sie …?«
    |92| Hendrikje zieht den Rotz in der Nase hoch und schaut die Palmenberg an.
    »Nee, nich Bruno.«
    »Gut.«
    »Wenn Sie erlauben, bleibe ich strikt in der Chronologie.«

|93| 8
    Am Samstagmorgen bin ich einkaufen gegangen, denn am Abend war ja mein Abschiedsfest in

Weitere Kostenlose Bücher