Hendrikje, vorübergehend erschossen
Rechtsanwältin
ja seit langen Jahren bekannt ist, doch froh sein, Sie hinter Schloss und Riegel zu sehen, anstatt sich mit einer Falschaussage
vor Gericht einer zweiten Vertuschung |155| einer Straftat schuldig zu machen. Was meinen Sie, Frau Schmidt, warum entlasten Ihre Freundinnen Sie?‹
Und ich saß da und guckte ihn an und da rutschte mir raus: ›Weil die jetzt endlich Angst vor mir haben.‹
Das unentwegt starre Gesicht des Richters, diese Maske aus Humorlosigkeit und hoher Autorität verzog sich plötzlich zu einem
Grinsen, einem breiten, schadenfrohen Grinsen. Dann stand er auf, tat kund, dass er sich zur Beratung zurückziehen würde und
verschwand mit den Schöffen.
Er kam zurück mit seinen Schöffen und verknackte mich. Nix Notwehr, nix Freispruch. Ich wurde wegen Totschlags in einem minderschweren
Fall verknackt, wegen eines so genannten
provozierten Totschlags
.
Der Richter sagte, er wär zwar nicht mit dabei gewesen, und wie es wirklich gewesen wär, wüsste wohl nur der liebe Gott, aber
er und die Schöffen würden mir glauben, dass Ernst mich beleidigt hätte. Nicht nur oben auf dem Dach mit meinem Namen, mit
dem man angeblich nicht Liebe machen könnte, sondern natürlich auch mit seinem Rat, ich möge doch springen, und dem Hinweis,
dass es ihm egal wär. Und dass erschwerend hinzukommen würde, dass Ernst mich ja auch schon im Vorfeld beleidigt hätte, als
er Handwerker in die Wohnung brachte, die schon mit den Renovierungsarbeiten anfingen, während ich noch da lebte. Jedenfalls
hätte ich mich völlig zu Recht provoziert gefühlt und aus dieser Provokation heraus geschubst, und das wär halt ein Totschlag
in einem minderschweren Fall, der mit einer Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bestraft wird.
Nun hätte er sich überlegt, dass in meinem Fall zweieinhalb Jahre eigentlich angemessen wären, da aber das einzige, was er
meiner Freundin Lisa glauben würde, wär, dass |156| ich eine geschundene Psyche hätte, und da er sich erinnern würde, dass in einer der griechischen Tragödien stehen würde:
Allen Segens Anfang heißt: Besinnung
, wollte er mir Gelegenheit zu ebensolcher geben und schlug ein Jahr drauf. Also dreieinhalb Jahre Gefängnis, und vielleicht
die Aussicht darauf, dass das letzte Drittel bei guter Führung und psychologischer Kontrolle auf Bewährung ausgesetzt werden
könnte.«
»Das«, seufzt die Palmenberg sehr erschöpft, »kriegen wir hin, Hendrikje, das kriegen wir durch.«
Und Hendrikje lächelt die Palmenberg dankbar an.
|157| 12
Hendrikje öffnet die riesige Geschirrspülmaschine und ist sofort eingehüllt in eine Wolke aus heißem Wasserdampf, der ihr
beißend ins Gesicht schlägt. Sie weicht zurück, wischt sich mit der Handfläche ihre nasse Stirn ab, wartet, bis der Dampf
sich ein bisschen verzogen hat, und beginnt dann, die Teller und die Untertassen herauszuräumen, die heiß vom Spülgang sind
und an denen sie sich jedesmal fast die Finger verbrennt. Sie türmt erst die Untertassen zu mehreren hohen Türmen und dann
die Teller zu mehreren hohen Türmen auf, und das klappert laut und es hört nicht auf, immer mehr Teller und Untertassen wachsen
aus der Geschirrspülmaschine nach, denn es ist eine große Geschirrspülmaschine, größer als die im Café, hier in der Küche
der Vollzugsanstalt, wo man sie zum Küchendienst verdonnert hat, weil sie als Kellnerin das wohl am besten könnte, und direkt
neben ihr macht die Mitinsassin Maria einen Riesenlärm, denn die pfeffert die sauberen Bestecke in die Schubladen, dass es
schrill klingelt.
Wenn dann nach dem frühen Abendessen die Küche glänzt, schaut Hendrikje kurz im Fernsehraum vorbei, wo die Zeitung ausliegt,
und liest die Sugar-Brown-Kolumne vom Vortag, weil hier die Zeitung immer erst einen Tag später ankommt.
Dann geht sie auf Stube zu Gudrun, der Friseuse, die ihren |158| Chef erschlug, weil der sie mehrfach vergewaltigt hatte, nur, sie erschlug ihn halt in einem Moment, wo er sie gerade nicht
vergewaltigte, und hat acht Jahre abzusitzen deswegen. Dann erzählen sie sich was. Und als Gudrun hört, dass Hendrikje eigentlich
Malerin ist, findet sie das
riesig
und will nackt gemalt werden und erlaubt ihr, auf der gemeinsamen Stube zu malen, würde sie echt nicht stören.
›Aber mich‹, antwortet Hendrikje ihr, ›es stinkt nach Terpentin und du hast keine Ahnung, wie viel Dreck das macht, und ich
hab ja auch kein Malzeug
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