Henker-Beichte
Gerechtigkeit. Irgendwo ist das Leben immer gerecht.«
Die Philosophie stimmte. Ich konnte ihm mit keinem Gegenargument antworten.
Rechts der Bahn, Richtung Süden, war der Blick frei. Wir schauten über eine einsame, hügelige Landschaft hinweg, sahen hin und wieder einen kleinen Ort in der Ferne, dessen Häuser wirkten, als wären sie in die Landschaft hineingestellt und vergessen worden. Später, wenn wir die Berge südlich von Limoux erreichten und wir auf der Landstraße fuhren, wurde es kurvig.
Der ehemalige Henker wirkte wie ein Bewacher oder Leibwächter meiner Person. Er konnte einfach nicht ruhig sitzen. Immer öfter blickte er in die verschiedenen Richtungen, aber auch in den Himmel hinein, als erwarte er von dort ebenfalls eine Gefahr. Ein Beil, das sich blitzend und schnell aus der Bläue löste und wie ein Raubvogel sein Opfer suchte.
Ich hatte Durst und auch Hunger, deshalb schlug ich eine kurze Rast vor.
»Wo denn?«
»Dort, wo wir abfahren müssen. Bei Carcassonne.«
»Wie lange haben wir dann noch vor uns?«
»Eine knappe Stunde.«
Aus dem Radio, das ich einstellte, dudelte leise Musik. Angenehme Melodien, nichts, was uns aufputschte, denn harten Rock oder Techno konnte ich heute nicht vertragen.
Cresson war so erschöpft, daß er trotz der Bedrohung einschlief. Der Körper fordert eben sein Recht, und der Mann hatte verdammt viel durchmachen müssen. Er kippte gegen die rechte Tür und schnarchte leise vor sich hin. Auch wenn mir das Geräusch auf die Nerven ging, ich ließ Cresson schlafen und stellte nur das Radio etwas lauter.
Der Laguna fuhr sich gut. Hier im Süden stand alles in voller Blüte. Die Bäume und Sträucher boten eine wahre Pracht für das menschliche Auge, als wollten sie sich gegenseitig übertreffen.
Kein Tag, um sich zu fürchten oder dem Grauen zu begegnen. Mehr ein Wetter, um einen Urlaub zu genießen. Ich genoß es, auch wenn ich im Dienst war. An das Beil dachte ich ebenfalls, und meine Gedanken beschäftigten sich auch mit dem Afrikaner. War er so harmlos, wie er sich gegeben hatte? Ich erinnerte mich an das Treffen der beiden Männer in der Flughafenhalle. Der zweite Mann hatte schon gefährlich ausgesehen, wie jemand, der einem Action-Film entstiegen war.
Die Pause wollte ich auch nutzen, um kurz mit dem Abbé zu telefonieren. Am Flughafen war ich darüber hinweggekommen. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis ich die Stadt an der linken Seite der Bahn liegen sah. Die Autobahn führte daran vorbei, aber das Rasthaus konnten wir anfahren. Der ehemalige Henker wachte wie auf Kommando auf, als ich auf den Parkplatz rollte.
»Schon da?« fragte er und rieb seine Augen.
»Am Parkplatz und am Rasthaus.«
»Wieso? Wir…« Er winkte ab. »Ich bin ein alter Esel. Wir wollten ja eine Rast einlegen.«
»Und telefonieren.«
»Mit wem?«
Ich gab ihm die Antwort draußen. »Mit unserem gemeinsamen Freund, dem Abbé.«
»Das ist gut.«
Telefonzellen gab es in der Nähe. Auf dem Weg dorthin erkundigte sich Cresson, ob ich noch immer Hunger hätte.
»Warum?«
»Wenn wir lange essen, dann…«
»Werden wir nicht. Mir reicht ein Imbiß.«
»Mir auch. Soll ich etwas besorgen?«
»Das wäre gut.«
Eine Telefonkarte hatte ich mir besorgt. Während Cresson verschwand, schob ich die dünne Scheibe in den Schlitz und tippte die Nummer des Refugiums der Templer in Alet-les-Bains ein.
Sekunden später hatte ich Bloch an der Strippe. Er lachte laut, als er meine Stimme hörte, und dann sagte er: »Mein Schützling aus Paris ist noch nicht eingetroffen.«
»Kann er auch nicht. Wir fahren zusammen.«
»Also hat es doch geklappt.«
»Wie du hörst, Abbé.«
»Wo seid ihr jetzt?« Ich sagte es ihm.
»Das ist gut, dann sehen wir uns ja bald. Gab es Probleme?«
»Im Prinzip nicht…«
»Das hört sich fast beunruhigend an.«
»Wie man’s nimmt.«
»Erzähl schon, John.«
Ich berichtete von meinem Erlebnis im Flugzeug und auch von Cressons Angst. Ich kam auch auf die afrikanische Magie und den Medizinmann zu sprechen und bat den Abbé, die Augen offenzuhalten, weil damit gerechnet werden konnte, daß sich möglicherweise genau dieser Mensch in Alet-les-Bains zeigte, zusammen mit einem zweiten, den ich dem Abbé als Leibwächter verkaufte.
»Das ist ja schon was«, sagte er.
»Aber es fehlen die Beweise.«
»Was sagt dein berühmtes Gefühl, John?«
»Nichts.«
»Das ist selten.«
»Stimmt. Dieser Mann ist entweder ein eiskalter Typ, oder er ist harmlos.
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