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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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einfach nicht mehr da zu sein.
    Er hörte eine verhaltene Stimme, kurz darauf leise Schritte auf der Treppe. Mit angehaltenem Atem lauschte er. »Herrgott, mach, dass es nur der Wärter ist, der seine Runde dreht, oder irgendein armer Schlucker, der vom Nachtwächter aufgelesen wurde und für den Rest der Nacht in den großen Kerker am anderen Ende des Gangs geworfen wird«, murmelte Wendel.
    Die Schritte kamen näher. Oh nein, bleib nicht stehen, geh weiter, wer immer du bist! Vor der Tür zu seinem Gefängnis verstummten die Schritte. Unwillkürlich sah Wendel hoch.
    Ein Gesicht tauchte in dem vergitterten Fenster auf, es war zu dunkel, um die Züge zu erkennen, doch Wendel war davon überzeugt, dass es der Teufel leibhaftig sein musste, der ihn holen kam. Ein Schlüssel klimperte, kurz darauf wurde die Tür aufgestoßen. Eine Fackel in der Rechten trat der Henker auf ihn zu. Wendel keuchte vor Schreck, drückte sich eng gegen die Wand.
    Der Henker legte den Finger auf die Lippen, dann griff er nach der Wachstafel, die um seinen Hals hing, kratzte mit dem Griffel darauf herum und hielt sie Wendel vor das Gesicht.
    Die Zeichen verschwammen vor seinen Augen, sodass er nichts entziffern konnte. Wozu auch? War es nicht besser, nicht zu wissen, was der Henker mit ihm vorhatte? Wendel senkte den Blick, doch der Henker rührte sich nicht, wartete geduldig, bis Wendel es noch einmal versuchte.
    Jetzt war die Schrift klar zu erkennen. Dieser Mann musste wahrhaftig der Teufel sein! »Folgt genau meinen Anweisungen, dann wird Euch nichts geschehen«, stand auf der Tafel. Nein, dieser Mann war nicht der Teufel, sondern – noch schlimmer – ein Handlanger von de Bruce! Es konnte nicht anders sein. Der Graf wollte ihn das Fürchten lehren und hatte dafür, ohne mit der Wimper zu zucken, einen unschuldigen jungen Burschen ermorden lassen. Wendel schluckte.
    Der Henker sah ihn fragend an.
    Wendel nickte langsam. Alles war besser, als in diesem Loch darauf zu warten, dass der Henker sich seiner Pflichten erinnerte und beschloss, doch noch ein Geständnis aus ihm herauszupressen. Was auch immer ihn als Nächstes erwartete, schlimmer als eine nochmalige Folter konnte es nicht sein.
    Melchior beugte sich vor und nestelte an dem Schloss herum, mit dem der eiserne Ring um Wendels rechtes Fußgelenk befestigt war. Es klickte, und er war frei. Der Henker bedeutete ihm aufzustehen.
    Wendel stützte sich mit den Händen am Boden ab und versuchte, sich zu erheben, aber seine Beine knickten weg. Er stöhnte.
    Der Henker hielt warnend seinen Finger auf die Lippen.
    Wendel versuchte es ein zweites Mal, und nur die Vorstellung, wieder in den Folterkeller gebracht zu werden, verlieh ihm die Kraft, aufzustehen und auf die Kerkertür zuzuhumpeln. Schweiß rann ihm den Körper hinunter. Wie sollte er die steile Treppe bewältigen?
    Melchior verschloss die Tür hinter ihnen und blieb am Fuß der Stufen stehen, den Kopf lauschend zur Seite geneigt. Von oben drangen leise Stimmen und das Klacken von Würfeln auf einer Tischplatte zu ihnen herab. Melchior nickte und gab Wendel ein Zeichen.
    Wendel schüttelte den Kopf, der Henker aber zögerte nicht, packte ihn unter der Schulter und stützte ihn, während sie unendlich langsam, Stufe für Stufe, nach oben stiegen. Welche Kraft doch in diesem schmächtigen Körper steckt, dachte Wendel. Ihm war inzwischen alles egal, solange er nur diesen Kerker hinter sich ließ.
    Oben hielten sie erneut inne. Doch die Verschnaufpause, die der Henker Wendel gönnte, war nur von kurzer Dauer. Schon trieb er ihn weiter an, vorbei an der Wachstube auf den Ausgang zu. Gerade als sie die Tür passierten, hinter der das Würfelgeklacker hervordrang, erscholl eine dröhnende Stimme: »Du, Steffen, ist unser Rundgang nicht längst überfällig? Ich geh mal runter, dann kann ich auch gleich nachsehen, was Meister Hans da unten so lange treibt.«
    Wendel und Melchior erstarrten. Der Henker drückte Wendel an die Wand, zog ein Messer und nahm eine geduckte Haltung ein. Keine Frage, wer immer über diese Türschwelle treten würde, war des Todes. Und da wurde Wendel eines klar: Ab jetzt hatte der Henker keine andere Wahl mehr, als sich und Wendel aus der Stadt zu bringen. Andernfalls würde man sie beide in schöner Eintracht nebeneinander aufknüpfen, im besten Falle. Wahrscheinlicher war, dass man ihnen die Haut abziehen, sie rädern und dann vierteilen würde.
    Obwohl er sich der Gefahr bewusst war, verspürte Wendel auf

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