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Henkerin

Titel: Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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drückte die Hand ihrer Mutter. Sie war eiskalt.
    »Ottmar de Bruce muss sterben. Versprich mir, dass du nicht ruhen wirst, bis er tot ist. Und du, du musst leben, du darfst nicht sterben.«
    Melisande schluckte, ihr Hals war staubtrocken. »Ich verspreche es dir, Mutter. Ich schwöre es. Bei Gott. De Bruce wird sterben, und ich werde leben.«
    Beata hatte nicht mehr die Kraft zu lächeln. »Braves Kind. Wir sehen uns wieder. Ich sehe schon die Himmelspforte. Es ist so, wie der Pater Nikodemus gesagt hat. Ein helles Licht, ein Licht ...« Beatas Kopf sackte zur Seite.
    Melisande spürte ein leichtes Beben tief in ihrem Inneren. Und eine warme Welle, die ihr jeden Schmerz nahm. Die Welle erreichte ihren Kopf, plötzlich waren ihre Gedanken ganz klar. Gertrud. Sie musste ihre Schwester in Sicherheit bringen.
    Sie schloss ihrer Mutter die Augen, nahm Gertrud an der Hand und zog sie weg. Aber das Mädchen sträubte sich, schrie und trat mit den Füßen nach ihr. »Ich gehe nicht mit dir! Ich bleibe hier! Lass mich los!«
    Melisandes Hände begannen zu zittern. »Gertrud, Mutter ist tot! Du kannst nicht hierbleiben. Wir müssen weiter! Schnell!«
    Gertrud schrie und strampelte noch wilder. »Nein! Nein! Lass mich!«
    Ängstlich schaute Melisande sich um. Noch war alles still. Kein verräterisches Knacken im Unterholz. Kein Verfolger in Sicht. Behutsam strich sie ihrer Schwester über den Kopf. »Hast du nicht gehört, was Mutter gesagt hat?«, fragte sie sanft. »Wir sollen weiterlaufen. Sie ruht sich aus und kommt später nach. Aber wir dürfen nicht länger verharren. Du musst Mutter gehorchen, das weißt du doch.«
    Gertrud blickte auf und sah Melisande in die Augen. Sie nickte. Langsam, unendlich langsam erhob sie sich, warf einen letzten unsicheren Blick auf ihre tote Mutter, dann ließ sie sich von Melisande weiterführen. Rasch liefen sie Hand in Hand über die Lichtung. Das feuchte Gras kühlte ihre schmerzenden Füße.
    Melisande sah sich unruhig um. Auf der anderen Seite begann dichtes Unterholz, dort würde de Bruce sie nicht so einfach finden. Und er würde zu Fuß nach ihnen suchen müssen. Kein Reiter kam da hindurch. Nur noch ein paar Schritte, dann hatten sie es geschafft.
    Sie hörte das Sirren zu spät. Gertruds Hand löste sich aus ihrer, entsetzt fuhr Melisande herum. Ihre Schwester lag im Gras. Ein Pfeil hatte ihren schmalen Rücken durchschlagen und ihr das Herz zerrissen.
    Auf der anderen Seite der Lichtung ließ Ottmar de Bruce den Bogen sinken. Er rutschte von seinem Rappen, stellte sich breitbeinig hin und stemmte die Hände in die Hüften. Er lachte aus vollem Hals.
    Melisande machte einen Sprung ins Unterholz.
    De Bruce hörte abrupt auf zu lachen. »Versteck dich nur, kleines Hündchen. Glaubst du wirklich, dass du mir entkommen kannst? Niemand wird es wagen, dir zu helfen, denn es wäre sein sicherer Tod. Das Geschlecht der Wilhelmis wird am heutigen Tage für immer und alle Zeiten ausgelöscht. Willst du nicht herkommen und mit mir kämpfen? Nein? Dann sieh her. Sieh, welche Macht ich habe. Nicht einmal Gott kann mich von meinem Vorhaben abhalten.«
    Er packte die tote Beata an den Fesseln und zerrte sie weg von dem Baum in die Lichtung hinein. Dort ließ er ihre Beine ins Gras fallen, zog das Schwert und schlitzte ihr den Bauch auf. Mit einem Griff zog er den Säugling heraus, durchschlug die Nabelschnur und hielt das blutige Bündel hoch, das zu atmen versuchte, einen glucksenden Laut von sich gab.
    »Na? Wo ist Gott? Kein Blitz, keine Flut. Nichts. Die Macht hat derjenige, der sie sich nimmt.« De Bruce blickte dorthin, wo Melisande im Unterholz verschwunden war. »Ich gebe dir eine Chance. Du bist mutig. Ich habe gesehen, wie du diesen Trottel abgestochen hast.«
    Er legte sein Schwert auf den Boden und zog sich an den Rand der Lichtung zurück. In aller Ruhe nahm er einen Pfeil, holte aus und nagelte den Säugling an einen Baum. Der wimmerte nicht einmal, lediglich ein Zucken lief durch seinen winzigen weißen Körper, bevor er starb.
    De Bruce drehte sich um. »Was ist, du kleine rothaarige Hexe? Komm schon! Ich warte auch, bis du das Schwert aufgehoben hast. Willst du mich nicht töten? Ich habe deine Schwester umgebracht. Und deinen kleinen Bruder. Ja, es war ein Junge, es war dein Bruder.« Er deutete auf den Baum. »Ist das nicht furchtbar? Ungetauft! Dein Bruder ist ungetauft gestorben und wird folglich nicht in den Himmel kommen.«
    Melisande würgte. Ihr ganzer Körper bebte,

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