Henkerin
auch jetzt noch bei ihm, über eine Näharbeit gebeugt.
Wendel versuchte, sie anzusprechen, doch über seine trockenen Lippen kam nur ein Röcheln.
»Ihr seid wach, Herr?«, rief die Magd und ließ fast ihre Arbeit fallen. »Ich hole Euren Vater.« Sie sprang auf.
Wendel wollte sie aufhalten. Alles, was er brauchte, war ein Schluck Wasser, doch das Mädchen war bereits bei der Tür. Wenig später standen seine Eltern am Bett. Seine Mutter hatte Tränen in den Augen, sein Vater ergriff stumm seine Hand.
»Wasser«, flüsterte Wendel.
»Aber sicher, mein Junge.« Katherina goss aus einer Karaffe etwas in einen Becher und hielt ihn Wendel an die Lippen. Gierig trank er.
»Der Medicus hat sich in Schweigen gehüllt, und ich hatte solche Angst, dass du ...« Katherina hielt inne. Sie schluchzte auf. »Doch jetzt ist die Gefahr gebannt. Der Herr war gnädig und hat uns unseren einzigen Sohn gelassen.« Sie bekreuzigte sich.
Wendel blickte fragend zu seinem Vater, der wortlos nickte. So schlimm hatte es um ihn gestanden?
Katherina wischte sich mit dem spitz zulaufenden Ärmel ihres Kleides die Tränen fort. »Sollen wir es ihm sagen, Erhard? Nicht, dass er sich zu sehr aufregt.«
Erhard Füger lächelte. »Ich denke, wir können es wagen.« Er zog etwas Weißes aus dem Beutel an seinem Gürtel. »Mein Sohn, gestern kam spät am Abend ein Bote mit einem Brief aus Esslingen.«
Wendel erschrak, seine Mutter drückte beschwichtigend seine Hand. »Warte ab, was dein Vater dir zu erzählen hat, Junge«, sagte sie.
Erhard reichte Wendel den gefalteten Bogen, auf dem in großen Texturalettern sein Name stand. Wendel nahm ihn entgegen, er fühlte sich seltsam an, weich und faserig, ganz anders als gewöhnliches Pergament. Das Siegel war erbrochen.
»Wir haben lange überlegt und dann beschlossen, den Brief zu lesen, ohne dir Bescheid zu geben. Du warst ohnehin in tiefen Schlaf gefallen.« Erhard sah Wendel auffordernd an. »Lies! Er enthält gute Nachrichten.«
Mit zitternden Fingern entfaltete Wendel das Papier. Zuerst erkannte er nur verschwommene Buchstaben, doch dann begriff er die Wörter. Erleichterung wogte durch seinen Körper, er fühlte sich mit einem Mal so frei und leicht, dass er am liebsten sofort aus dem Bett gesprungen wäre.
»Deine Unschuld ist erwiesen, Wendel«, sagte Katherina. »Der Name Füger ist reingewaschen. Jetzt wird alles wieder gut.«
Wendel warf seinem Vater einen raschen Blick zu. Alles würde kaum wieder gut werden. Nicht, solange der mächtige Graf Ottmar de Bruce sein Feind war. In Erhards Augen las er die gleichen Gedanken. Rasch wandte er sich wieder seiner Mutter zu. Dies war ein Augenblick großer Freude, den er sich nicht durch Sorgen um die Zukunft verderben lassen wollte. Vor dem Gesetz war er wieder ein freier Mann und konnte gehen, wohin er wollte.
Katherina strich ihm über das Gesicht. »Ich weiß noch jemanden, der sich unbändig über die guten Nachrichten freuen wird: deine Braut Engellin. Sie hat sich solche Sorgen gemacht. Ihr Vater war fast täglich hier, seit uns die Nachricht von deinem Unglück erreicht hat, und hat wissen wollen, ob es Neuigkeiten gibt. Er weiß, was für ein anständiger junger Mann du bist, und hat keinen Moment an deiner Unschuld gezweifelt. Als wir ihm heute Morgen von dem Brief erzählten, ist er sofort zu Engellin geeilt, um es ihr mitzuteilen.«
Wendel stöhnte. An Engellin hatte er gar nicht mehr gedacht. So viel war seit seinem Abschied aus Reutlingen geschehen, dass er das Gespräch mit seinem Vater völlig vergessen hatte.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte Katherina, die das Stöhnen ihres Sohnes offenbar falsch verstanden hatte. »Engellin ist eine tapfere Frau, sie hat das alles mit viel Mut durchgestanden.« Sie blickte zu ihrem Mann auf. »Vielleicht sollten wir den Termin für die Hochzeit recht bald festsetzen? Ein großes Fest wäre das Beste, um vergangenen Kummer zu vergessen, meinst du nicht, mein Gemahl?«
Erhard sah kurz zu Wendel und dann wieder zu seiner Gattin. »Lass den Jungen erst einmal richtig genesen. Wir wollen doch, dass er auf seiner Hochzeit tanzen kann, oder nicht? Bis die Füße verheilt sind, dauert es bestimmt noch einige Wochen.«
»Du hast recht. Wie dumm von mir!« Wieder strich sie Wendel über das Gesicht. »Was haltet ihr von Michaeli? Bis dahin ist Wendel bestimmt wieder gesund und munter wie ein Fisch.«
»Wir werden sehen, Weib«, sagte Erhard, ging um das Bett herum und nahm
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