Henkerin
auch, weshalb der Graf mir nach dem Leben trachtet.«
»Erklärst du es mir?«
Wendel verzog das Gesicht zu einem bitteren Grinsen. »Goldglätte ist nicht nur eine schöne Farbe.« Er nahm seinen Becher, setzte an und trank ihn leer. Ein wirklich guter Tropfen. Rein und unverfälscht. Zorn stieg in ihm auf. »Dieser widerliche Verbrecher!« Er stellte den Becher ab und schaute zu Merten, der geduldig auf eine Erklärung wartete. »De Bruce ist ein Weinpanscher übelster Sorte. Mit Goldglätte wird saurer Wein gesüßt. Aus einem Fass Essig wird ein edler Tropfen, der so gut schmeckt, als käme er aus dem Burgund oder aus Italien.«
»Und das ist verboten, nehme ich an.« Merten hatte sich nach vorne gebeugt, seine Augen leuchteten.
»Die Todesstrafe steht darauf. Goldglätte macht krank, ebenso wie Silberglätte und Bleiweiß. Man bekommt Koliken davon und Fieber. Sogar sterben kann man, wenn man es zu häufig zu sich nimmt.«
Merten nickte nachdenklich. »Das ergibt allerdings Sinn. Damit lässt sich bestimmt ungeheurer Gewinn erzielen. Aber eins verstehe ich nicht, Wendel: Wenn Ottmar de Bruce dich in dem Keller erwischt hat, warum hat er dich nicht auf der Stelle umgebracht? Es wäre doch viel zu riskant gewesen, dich weiterziehen zu lassen. Weißt du denn nicht mehr, was geschehen ist, nachdem du die Kammer entdeckt hast? Hattest du einen Streit mit de Bruce? Hat er dich bedroht? Was hat er gesagt?«
»Nein, ich glaube nicht, dass ich mit ihm gesprochen habe«, sagte Wendel. »Nachdem ich die Goldglätte erkannt hatte, bin ich Hals über Kopf aus dem Keller geflüchtet. Ich hatte wahnsinnige Angst, dass de Bruce mich dort finden könnte. Ich habe mich zu einer Gruppe von Kaufleuten gesellt, die ebenfalls auf dem Fest zu Gast waren, und Humpen um Humpen Bier in mich hineingeschüttet, um nicht über das nachdenken zu müssen, was ich entdeckt hatte. Deshalb war mein Gedächtnis wohl auch all die Monate verschüttet.«
»Es könnte also sein, dass der Graf dich nicht gesehen hat und dir aus einem ganz anderen Grund zürnt?«
Wendel hob hilflos die Arme. »Aber weshalb? Ich habe mir den Kopf zerbrochen, doch ich wüsste nicht, was das gewesen sein könnte.«
»Erzähl mir alles. Jede Kleinigkeit, die an jenem Tag vorgefallen ist, so gut du dich daran erinnerst. Vielleicht fällt mir etwas auf.«
Wendel begann zu erzählen, erst stockend, dann immer flüssiger. Er hatte die Geschehnisse jenes Tages nun schon so oft in seinem Kopf hin- und hergewälzt, dass sie ihm wie von allein über die Lippen kamen. Als er von dem Treffen mit dem Henker erzählte, schnappte Merten hörbar nach Luft, doch er sagte nichts. Schließlich schilderte Wendel noch seinen Abschied vom Grafen und die Einladung zur Hochzeit.
Da unterbrach ihn Merten. »Was hast du über seine Bastarde gesagt? Bitte wiederhole es, so genau, wie es dir in Erinnerung ist.«
Wendel begriff nicht, worauf Merten hinauswollte, doch er folgte seiner Aufforderung. »Ich sagte: ›Leider habt Ihr bisher nur Bastarde gezeugt, die es nicht wert waren, den Namen de Bruce zu tragen.‹«
Merten stöhnte.
»Was ist denn los?«, fragte Wendel ungeduldig. »Meine Worte waren vielleicht nicht sonderlich taktvoll, doch ich dachte, einem Mann wie de Bruce macht das nichts aus. Im Gegenteil, der ist doch sicherlich stolz auf die vielen kleinen Zeugnisse seiner Manneskraft.«
»Du weißt nichts davon?«, fragte Merten.
»Wovon?« Wendels Herz klopfte mit einem Mal schneller.
»Von Ottmar de Bruce’ Sohn Gernot. Das Kind, das er mit seiner ersten Frau hatte. Gernot war zwölf Jahre alt, als er starb. Er ist in einem Zweikampf gefallen, nachdem er einen braven Bürger beleidigt und dann von hinten mit dem Schwert attackiert hatte. Du hast de Bruce’ toten Sohn als Bastard verunglimpft, Wendel. Das ist der Grund. Deshalb hat er dich auch nicht sofort getötet, sondern ein grausames Spiel mit dir gespielt. Er wollte dich leiden sehen. Erst als sein Plan misslang, beschloss er, dich umbringen zu lassen.«
»O mein Gott«, stöhnte Wendel. »Was bin ich nur für ein einfältiger Narr! Ich hätte es wissen oder doch zumindest merken müssen. Als ich das über die Bastarde sagte, hat er mich einen Moment angesehen, als wolle er mich zerfleischen. Aber ich habe es nicht begriffen, habe es für eine seiner Launen gehalten.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Und jetzt erinnere ich mich, dass Richard von Alsenbrunn einen Sohn erwähnte, als er mit mir über die
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