Henry haut ab: Roman (German Edition)
und ging zu Bett, bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnte.
Am nächsten Morgen brachte Eva ihm das Frühstück ans Bett in dem Versuch, Wiedergutmachung zu leisten und ihn gleichzeitig vor seinem Vorstellungsgespräch bei Lady Clarissa in bessere Stimmung zu versetzen. Ihr Plan hätte aufgehen können, hätte sie nicht seine sämtlichen Kleider versteckt, bis auf den peinlichen Anzug. Als Wilt nach unten kam, war er übelster Laune.
»So ist es doch viel besser!«
»Geschieht dir ganz recht, wenn sie einen einzigen Blick auf mich wirft und schreiend davonläuft, du verfluchte Idiotin«, murmelte Wilt. »Also, wann treffen wir Ihre Ladyschaft?«
Eva entschied aus taktischen Gründen, sein Fluchen für den Augenblick zu ignorieren. »Wir können vorher noch gut eine Tasse Tee trinken. Lady Clarissa erwartet uns nicht vor halb eins.« Auf Evas Drängen hin nahmen sie die Fahrräder statt des Autos und gingen erst in ein Café in der Nähe des Black Bear Hotel. Eine halbe Stunde später betraten sie die Lobby, wobei Wilt sich in seinem absonderlichen Anzug immer noch wie ein Vollidiot vorkam.
»Lady Clarissa ist in der Lounge«, teilte ihnen der Empfangschef mit.
Eva drehte sich zu ihrem Mann um und wischte eine eingebildete Staubflocke von seinem Revers.
»Wenn sie fragt, ob du einen Drink möchtest, sagst du, du hättest gern einen Sherry.«
Aber Wilt reichte es.
»Ich mag keinen verdammten Sherry. Was trinkt sie denn?«
»Etwas, das sie trockenen Martini nennt, was immer das auch sein mag.«
»Dann trinke ich auch einen. Ein Martini gibt mir bestimmt mehr Selbstvertrauen. Und Gott weiß, Selbstvertrauen kann ich brauchen. Angezogen wie ein Lackaffe und praktisch kahl.«
»Gut, dann trink einen Martini, aber du darfst keinen zweiten annehmen. Das Letzte, was wir brauchen, ist, dass du dich betrinkst. Und wirst du wohl aufhören, diese schrecklichen Ausdrücke zu gebrauchen?«
Wilt folgte ihr missmutig in die Lounge, wo er zu seiner Überraschung feststellte, das Lady Clarissa nicht die steife Dame mittleren Alters war, die er erwartet hatte. Sie sah sogar sehr gut aus und war extrem gut gekleidet. Doch das Beste daran war, dass sie ihm ziemlich angetrunken vorkam – was sie in der Tat auch war, auch wenn sie ziemlich viel vertrug.
»Ah, meine liebe Mrs. Wilt«, begrüßte sie Eva. »Und das muss ihr kluger Mann Henry sein. Du meine Güte, Sie tragen aber wirklich einen lebhaften Anzug, Teuerster.«
Sie lächelte Wilt einladend an, der sich zu seiner nicht geringen Überraschung sagen hörte, dass er sich geehrt fühlte, sie kennenzulernen.
»Mrs. Wilt trinkt Sherry, wie ich weiß«, fuhr Lady Clarissa fort. »Was darf ich Ihnen anbieten?«
Wilt zögerte kaum. »Ich denke, ich schließe mich Ihnen an. Das dürfte ein trockener Martini sein.« Er schnurrte beinahe, als er auf ihr Glas zeigte.
Lady Clarissa gab dem Kellner ein Zeichen, der sofort herbeigeeilt kam. Offensichtlich war sie hier eine geschätzte Kundin.
»Mrs. Wilt hätte gern einen süßen Sherry, einen Oloroso … Ich denke, der wird Ihnen besser schmecken, meine Liebe … und Henry und ich hätten gern trockene Martinis – ach, und seien Sie sparsam mit dem Noilly Prat.«
Eva sah nicht allzu erfreut aus. Es gefiel ihr nicht, dass sie Mrs. Wilt genannt wurde, während ihr Ehemann Henry hieß. Auch fand sie den Ausdruck auf Wilts Gesicht seltsam beunruhigend. Er sah aus wie eine Katze, die gerade ein halbes Dutzend Kanarienvögel verschluckt hatte.
»Also, Henry, was meinen Sohn betrifft … Edward ist nicht dumm, er ist einfach nur kein akademischer Typ«, vertraute Lady Clarissa ihm an. »Er findet Geschichte ›altmodisch‹. Ich habe ihm gesagt, das muss so sein, weil sie in der Vergangenheit spielt, aber er lässt sich nicht überzeugen. Und die Einstellung meines Mannes ist auch nicht gerade hilfreich. Edward ist nicht sein Sohn, müssen Sie wissen, und George besteht darauf, ihn Eddie zu nennen …«
Hier mischte Eva sich ein.
»Wenn Sie sagen, er ist nicht Sir Georges Sohn …«, setzte sie an, brach dann aber sehr zu Wilts Bedauern abrupt ab. Einen Augenblick lang hatte er gehofft, sie würde fragen, ob der Junge unehelich sei.
»Mein erster Mann ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
»Oh, wie furchtbar. Das tut mir leid.«
»Ich glaube, mir nicht«, sagte Lady Clarissa. »Ich weiß, es sollte mir leidtun, aber er war ein schrecklicher Langweiler. Aber ich habe Sie nicht hierhergeschleppt, um über ihn zu
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