Hera Lind
informierte mich Caspar. »Aber der Arzt sagt, ich kann erst mal nicht arbeiten. Es tut mir wirklich leid, Lotta! Du sollst doch Spaß haben!«
Doch wie sollte ich Spaß haben, wenn meine Freundin jetzt fünf Kinder an der Backe hatte? Man kann sein Glück auch überstrapazieren.
Ich wünschte Caspar gute Besserung und rief Sophie an.
Inmitten von tosendem Lärm meldete sie sich betont fröhlich: »Hallo, Lotta! Hier ist alles im grünen Bereich! Ich habe Caspar eingeschärft, dich in Ruhe zu lassen! Sorge dich nicht, lebe!«
Wieder konnte ich mir nicht verkneifen, zu sagen: »Sophie, du weißt doch, dass nur Bestseller so heißen!«
»Wie geht es euch? Ist die Hütte halbwegs wohnlich?«, erkundigte sie sich.
»Es ist alles ein Traum, Sophie! Aber wir können doch nicht …«
»Lotta, wer A sagt, muss auch B sagen. Du bist jetzt da unten und nutzt die Zeit!« Sophie lachte so glockenhell, dass ich mich kurz entspannte.
»Die Kinder sind so gut erzogen, sie helfen mir im Haushalt und … Nicht, Luna, lass das stehen, das geht kaputt …« Ein mittleres Erdbeben drang durch die Leitung.
»Sophie?«
»Ach, das war nur die Blumenvase.« Sophies Stimme klang etwas erstickt »Aber Luna weint jetzt, ich glaube, sie hat sich wehgetan. Vorsicht, Stella, nicht barfuß in die Scherben treten!« Ich hörte Luna und Stella entsetzt aufheulen und weiteres Geschirr zu Bruch gehen. »Paulchen, bring mir schnell den Staubsauger, und du, Clemens, den Verbandskasten …«
Die Leitung wurde unterbrochen.
Das war ein Zeichen: Es sollte eindeutig nicht sein. Mein Glück war nur ein gestohlenes Glück. Mein Herz war schwer wie Blei, als ich Jürgen anrief.
Christian verzog sich wieder diskret in die Küche.
Ich erzählte Jürgen von Caspars Unfall und bat ihn, bei Sophie vorbeizuschauen.
»Gern, sobald ich hier in der Sparkasse ein wenig Luft habe«, ächzte Jürgen. »Allerdings habe ich meinen Vater zu Hause sitzen. Und den Hund. Ständig kommen Trauergäste. Es ist alles ein bisschen viel für mich.« Ich hörte ihn etwas in seinen Laptop tippen. »Und du? Konntest du schon die eine oder andere Erkenntnis gewinnen? Wie läuft dein Seminar?«
Ich wollte im Boden versinken vor Scham. »Oh, ähm. Mein Seminar. Ja, es ist sehr aufschlussreich.«
»Hast du ein bisschen über unsere Beziehung nachgedacht?«
»Pausenlos.«
»Und über deine Mutterpflichten?«
»Jürgen, ich komme fast um vor Schuldgefühlen!«
»Dann scheint das Seminar ja zu wirken.« Seine Stimme klang zuckersüß.
»Ja. Versprich mir, dass du nach den Kindern schaust!«
»Wie gesagt, ich habe Prioritäten. Aber ich könnte deine Mutter darum bitten.«
»Nein, DU sollst nach ihnen schauen!« Meine Stimme nahm einen schrillen Klang an.
Christian steckte besorgt den Kopf durch den Türspalt. Wie gut, dass der Duft nach kross gebratenem Speck und Frühstückseiern nicht durch den Hörer nach Heilewelt wabern konnte.
»Weißt du, Lotta …«, sagte Jürgen, als spräche er mit einer geistig unzurechnungsfähigen Patientin. »Ich finde, du solltest ruhig noch ein bisschen in dich gehen. Lass dir von anderen dabei helfen.«
»Aber ich kann hier nur … ähm … an mir arbeiten, wenn ich weiß, dass bei euch zu Hause alles in Ordnung ist«, stieß ich verzweifelt hervor. »Sonst kann ich mich nicht aufs Wesentliche konzentrieren!«
»Wir werden hier geduldig abwarten, bis du herausgefunden hast, was das für dich ist«, sagte Jürgen einfühlsam.
»Jürgen, ich komme sofort heim«, wimmerte ich. Fast wünschte ich mir, er würde es mir befehlen! Oder weinerlich darum betteln! Alles konnte ich ertragen, nur nicht dieses beschämende Verständnis. »Wenn ich jetzt ins Auto steige, bin ich heute Abend da.«
»Nein, ich schaff das schon«, kam es aus dem Hörer. »Befrei dich von seelischem Ballast. Komm mit dir ins Reine. Was nutzt mir eine unglückliche Frau und den Kindern eine unerfüllte Mutter?«
Oh Gott, ich war gerade so was von glücklich und erfüllt und mit mir im Reinen. Am liebsten wäre ich für immer hiergeblieben. Nur die Kinder waren am falschen Ort
»Leb dich aus. Du bist ein freier Mensch«, wiederholte Jürgen sein neues Lieblingsmantra. Und in dem Moment wurde mir alles klar: Er wusste es, er wusste Bescheid. Diesmal kamen keine Vorwürfe und Drohungen von Jürgen. Diesmal gefiel er sich in der Rolle des Tapferen, der heldenhaft einen Seitensprung ertrug – nur um die Familie zu retten. Man würde ihm in Heilewelt ein Denkmal
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