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Hera Lind

Hera Lind

Titel: Hera Lind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Männer sind wie Schuhe
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zuversichtlich und schlug mir vor, den Mondsee rechts zu umrunden.
    Bald darauf entdeckte ich inmitten von Nebelschwaden auf einem Hügel das Ortsschild »Sankt Gilgen«. Ich bekam Gänsehaut. Was tat ich nur, was tat ich? Ich war verrückt geworden. Absolut verrückt. In meiner Verwirrtheit las ich auf dem nächsten Schild »Sankt Galgen«. Hier konnten sich abtrünnige Familienmütter bestimmt hervorragend aufhängen. Stillgelegte Seilbahnen schaukelten einsam im Wind. Rechts von mir baute sich bedrohlich ein steiler schwarzer Berg auf. Eingeschüchtert sah ich mich um. In dieser Landschaft würde ich niemals Fuß fassen können. Ich brauchte meine ausgetretenen Trampelpfade. Hauptsache, es ging nicht bergauf.
    Hauptsache, es ging nicht bergauf? Hatte ich das tatsächlich gedacht? Vielleicht sollte es endlich mal bergauf gehen in meinem Leben! Auch wenn es Mut kostete! Entschlossen trat ich wieder aufs Gas. Ich war hier und würde das jetzt durchziehen. Zurückfahren konnte ich morgen immer noch. Oh Gott, wie lange dauerte das denn noch? Ich wusste nicht, was ich mehr fürchtete: weitere Stunden durch diese dunkle Einöde fahren oder vor der Hütte mit Christian stehen. Und dann?
    Der Wolfgangsee lag zu meiner Linken. Vom anderen Ufer leuchtete die Kirche von Sankt Wolfgang herüber. Der spitze Turm spiegelte sich im See. Nicht weit davon lag das Ferienhaus. Auf einmal beflügelte mich ein ungekanntes Selbstbewusstsein, und ich fühlte mich den Gipfeln der mich umgebenden Berge näher als je zuvor.
    Die Navigationsdame leitete mich bis ans hinterste Ende des Sees. Die Straße wurde immer enger, die Häuser immer dunkler und abweisender. Im Sommer schmückten hier sicherlich Blumenmeere die Balkone, aber jetzt war alles tot und abgestorben. Das Ortsausgangsschild »Ried am Wolfgangsee« lag hinter mir, danach kam nur noch der finstere Schafberg. Es war dreiundzwanzig Uhr dreiundzwanzig. Keine Uhrzeit, zu der man irgendwo auftaucht und behauptet, man wolle nur mal kurz Hallo sagen. Die Straße wurde zum Feldweg. Im zweiten Gang holperte ich über vereiste Schlaglöcher. Rechts von mir schwarz und schweigend der Wald. Vor mir die noch schwärzere Felswand. Links schwarz der See. Hier war das Ende der Welt.
    »Sie haben Ihr Ziel erreicht.« Na toll, vielen Dank auch!
    Auf einer schneeverkrusteten Ebene entdeckte ich das Ferienhaus. Jemand hatte Schnee von den Stufen geschaufelt. Die Schaufel lehnte an der Hauswand. Es waren unterschiedliche Fußabdrücke zu sehen. Oder bildete ich mir das nur ein? Mein Herz setzte einen Schlag aus.
    Wenn sie jetzt da drin war! Wenn sie eng umschlungen da drinnen schliefen! Was fiel mir dummer Gans ein, hierherzufahren! Als ob er tagelang auf mich warten würde!
    Ich hatte nicht den Mut zu klopfen.
    Was, wenn Christian mir die Tür vor der Nase zuschlagen würde? Was, wenn Anita mir mit dem Jagdgewehr eins überbraten würde? Was, wenn sie mich beide auslachen würden? Oder, noch schlimmer, bemitleiden! Komm doch rein, du armes verwirrtes Hascherl! Hier hast du eine heiße Suppe, aber bleiben kannst du nicht.
    Ich blieb lange im Wagen sitzen, umklammerte das Lenkrad, starrte auf die Holztür, betete und bangte. Ich hatte nicht die Kraft, auszusteigen, nicht den Mut, an diese Tür zu klopfen. Leise schneite die Scheibe zu. Ich würde hier drin noch erfrieren, wenn ich jetzt nicht eine Entscheidung traf! Am liebsten hätte ich meinen Kopf aufs Lenkrad gelegt und einfach aufgehört zu atmen. Ich sollte Sophie anrufen. Ob sie noch wach war? War hier überhaupt Handyempfang? Panik überkam mich. Besser, ich ging ins Hotel. Morgen war auch noch ein Tag. Besser, ich peilte die Lage bei Tageslicht. Irgendein Hotel musste in Sankt Wolfgang doch noch offen sein! Ich ließ den Motor wieder an und legte den Rückwärtsgang ein. Die Räder drehten durch. Mist! Wie schnell konnte man denn hier einschneien? Ich trat aufs Gas, der Motor heulte hysterisch auf. Vor lauter Schreck rollte ich vorwärts und wäre fast im See gelandet. Meine Hände zitterten. Noch einmal ließ ich den Motor aufheulen, wollte im Rückwärtsgang mit Schwung den Hügel hinaufzufahren. Ohne Erfolg. Ein Albtraum. Wann würde ich endlich aufwachen? Das war die gerechte Strafe. Wieder rutschte ich ein paar Meter nach vorn. Ich würde im Wolfgangsee ertrinken. Meine aufgedunsene Leiche würde allerdings erst im Sommer gefunden, wenn spielende Kinder beim Angeln …
    Plötzlich ging die Tür des Holzhauses auf. Der warme Schein eines

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