Hera Lind
dieses merkwürdige Geräusch! Eine Art Seufzen und Stöhnen, das mir ganz unheimlich war. Natürlich kam es manchmal vor, dass sie dort mit Benni zugange war, und ich gehörte nicht zu den Müttern, die einfach die Tür aufreißen und rufen: »Was macht ihr da?«
Ein unterdrücktes Grunzen war zu hören. Vorsichtig pirschte ich mich näher an Grazias Zimmertür heran. Sie war geschlossen.
Die Geräusche waren eindeutig. Da hatte jemand Sex. Aber wer? Mit wem? Mir war gar nicht wohl. Sekundenlang kämpfte ich mit mir. Das war Grazias Zimmer. Das ging mich nichts an. Vielleicht hatte sie es an Freunde »verliehen«. Das wäre zwar nicht besonders nett mir gegenüber, und es passte auch nicht zu ihr, da sie Heimlichkeiten nicht nötig hatte. Dennoch würde ich die Freunde in Verlegenheit bringen, wenn ich jetzt die Tür aufriss. Und ich würde ja auch irgendwie reagieren. Sie nach Hause schicken, ihre Eltern anrufen, Grazia zur Rede stellen müssen: »Ich bin kein Hotel und erst recht kein Stundenhotel!« Fast wollte ich den Rückzug antreten und mich mit einer Flasche Wein vor den Fernseher setzen. So nach dem Motto: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Andererseits war es meine Pflicht als Mutter, nachzusehen, wer da sein Unwesen trieb. Es kostete mich einige Überwindung. Im Zeitlupentempo drückte ich die Türklinke herunter. Sie quietschte leicht, aber die Geräusche von drinnen waren lauter. Millimeterweise schob ich meine Nasenspitze durch den Türspalt und spähte mit zusammengekniffenen Augen in Erwartung unschöner Dinge in Grazias Zimmer.
Und sie waren unschön! Auf ihrem Bett saß Wolfgang Kobalik. Er hatte sein Gesicht verzückt in einem ihrer BHs vergraben und schnüffelte sich in Ekstase. Er war so mit sich beschäftigt, dass er mein Erscheinen gar nicht bemerkte.
Mir wurden die Knie weich. Dieser Widerling! Gestern noch hatte er Grazia so angestarrt, und jetzt … Am liebsten hätte ich ihn mit dem BH erdrosselt. Aber ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn angewidert an.
In diesem Moment hatte Wolfgang Kobalik das Ziel seiner Bemühungen erreicht. Er grunzte zufrieden und öffnete die Augen. Da sah er mich.
Hallo erst mal, ich weiß nicht, ob du das schon wusstest, aber ich bin scharf auf deine Tochter, und in diesem Zusammenhang freue ich mich sehr, dass wir Nachbarn sind.
Eine unbändige Wut ballte sich in meinem Zwerchfell. Ich holte tief Luft und brüllte mit einer Stimme, die an schneidender Kälte nicht zu übertreffen war: »Du Schwein! Du widerliches Schwein! Raus aus diesem Zimmer! Raus aus meinem Haus!« Ich griff nach dem nächstbesten Buch im Regal – es war Charlotte Roches »Schoßgebete« oder »Feuchtgebiete« – man schaut in so einer Situation ja nicht so genau hin – und drosch damit auf ihn ein, bis das Buch in seine Einzelteile zerfiel. »Du notgeiler Widerling, du verlogener alter Sack …«
»Nu mach mal halblang, Meedchen, und reg dir nich so uff …« Wolfgang Kobalik rappelte sich auf und machte sich an seiner Hose zu schaffen.
Ick sollte mir nich uffregen!? Ick regte mir aber uff!! Ein plötzlicher Würgereiz überkam mich. Ich presste mir die Hand vor den Mund und rannte ins Mädchenbad, wo ich gerade noch vor der Toilette in die Knie gehen konnte.
Ich hörte Wolfgang Kobalik von der Bettkante aufstehen und taumelnd das Weite suchen. Im Vorbeihuschen raunte er mir noch kumpelhaft zu: »Kein Wort zu Uschi! Det jibbt sonst Ärja!«
Nee, ist klar. Was glaubte der denn? Dass ich mit ihm unter einer Decke steckte? Seine Schweinereien tolerieren würde? Oh Gott, mir war so schlecht! Ich musste hier raus. Wir mussten hier weg. Was sollte ich nur machen?
LOTTA
Wir waren fast oben auf dem Kapuzinerberg. Trotz des Schneeregens und des kalten Windes schwitzte ich unter meinem Mantel. »Was sollen wir machen? Sind wir nicht komplett wahnsinnig?«, fragte ich verzweifelt.
»Wir lieben uns, und wir passen zueinander. Wir freuen uns, wenn wir zusammen sind. Was ist daran wahnsinnig?«
»Aber wir kennen uns doch kaum!«
»Wir lernen uns doch gerade kennen!« Christian küsste mich zärtlich. »Du musst es wissen, Lotta. Willst du denn zurück?«
»Und du?«
»Für mich gibt es kein Zurück mehr. Für mich sind die Würfel gefallen.«
»Es tut mir so leid, Christian. Es tut mir so furchtbar leid.«
»Das muss es nicht. Ich bin ein erwachsener Mann. Ich fange neu an. Am liebsten mit dir!«
»Aber die Kinder, Christian. Ich habe drei kleine
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