Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hera Lind

Hera Lind

Titel: Hera Lind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Männer sind wie Schuhe
Vom Netzwerk:
aber wir wollen auch nicht so werden wie du.«
    Ich schluckte.
    »Nein, so war das jetzt gar nicht so gemeint«, verbesserte Gloria ihre Schwester schnell. »Aber wir wollen unser Leben selbst bestimmen. Auch mal Nein sagen, wenn uns was nicht passt.«
    »Wir haben ja gesehen, was du dir alles von den Kobaliks gefallen lässt. Die Aktion mit den Obdachlosen und den leeren Koffern war einfach nur scheiße. Im Nachhinein habe ich mich echt geschämt, dass ich da mitgemacht habe.« Grazia senkte den Kopf. »Die Kobaliks haben uns nur benutzt! Mama, dir muss doch klar sein, dass alle an dieser Schlammschlacht verdienen: die Kobaliks, der Anwalt, der Fotograf, die Zeitung in Heilewelt – nur wir nicht! Wie blöd sind wir denn eigentlich?«
    Das versetzte mir einen Stich: Meine Töchter hatten mehr Durchblick als ich!
    »Ich sollte sogar einen offenen Brief an Papa schreiben!«, verkündete Gloria zu meinem Entsetzen. »Den hat die olle Kobalik mir diktiert. Im Wohnmobil. Als du draußen standst. Den wollten sie im Heilewelter Tagblatt veröffentlichen. Sie haben mir tausend Euro dafür geboten. Aber ich verrate meinen Vater nicht!«
    Oh Gott. Das wurde ja immer schlimmer! Davon wusste ich ja gar nichts! Mir wurde ganz flau. Die Kobaliks schreckten wirklich vor keiner Geschmacklosigkeit zurück. Trotzdem: Ich war stolz auf meine blitzgescheiten Mädels. Und bald würden sie auch wieder auf mich stolz sein können.

LOTTA
    Wir standen im Supermarkt an der Kasse. Wir probten den Alltag. Ich wollte einfach wissen, wie es sich anfühlte, mit diesem Mann Joghurt zu kaufen. Und Milch. Und Bettwäsche. Ja, für diese Nacht hatten wir uns eigene Bettwäsche zugelegt, für sechzehn Euro die Garnitur. Während unsere Waren über das Band liefen und die Kassiererin völlig unbeteiligt den Betrag nannte, schaute ich wie gebannt aus dem Fenster des Großmarkts. Die schneebedeckten Berge leuchteten in der untergehenden Sonne. Das war ein Naturschauspiel! Ein Großereignis! So etwas war in Heilewelt unbekannt. Das war ja ein richtiges Alpenglühen! Die Sonne hatte sich tatsächlich unter die schwarzen Wolken geschoben und das Bergmassiv vor uns in dunkelrotes Licht getaucht. Mich wunderte, dass nicht alle Hausfrauen in der Schlange an der Kasse entzückt zum Fenster eilten und »aaah« und »oooh« schrien wie bei einem Feuerwerk! Stattdessen wühlten sie in ihren Geldbörsen und zahlten, als wäre grauer Alltag. Niemand zückte seine Kamera oder rief weinend zu Hause an. Ich konnte es nicht fassen.
    Aber mir war danach, weinend zu Hause anzurufen. Ich musste wissen, wie es zu Hause ging, sonst würde mich mein schlechtes Gewissen noch umbringen. Warum genoss ich es so, mit Christian an der Kasse in der Schlange zu stehen? Wieso glühte dabei ein Berg? Das war doch nicht normal! Das wahre Leben ist nicht so!, hörte ich meine Mutter verbittert sagen. Irgendwann holt dich der Alltag ein. Und dann ist ein Mann so wie der andere.
    »Hallo, Jürgen«, flüsterte ich kleinlaut in den Hörer, wäh rend Christian unsere Einkäufe im Kofferraum verstaute. »Wie geht es dir?«
    »Hier regnet es, und mein Vater sitzt weinend im Wohnzimmer.« Schweigen.
    »Hier ist gerade ein sensationeller Sonnenuntergang, und die Berge stehen regelrecht in Flammen«, sagte ich schnell, um die Stille zu füllen. Ups. Ich biss mir auf die Unterlippe. Offiziell war ich ja in Neuendettelsau in Mittelfranken .
    »Oh. Genieß den Sonnenuntergang. Tu dir was Gutes.«
    Jürgen machte mir keinerlei Vorwürfe und klang so traurig, dass ich kaum noch ein Wort herausbrachte vor lauter Scham. »Wie geht es den Kindern? Hast du sie inzwischen bei Sophie besucht?«, flüsterte ich.
    »Dazu hatte ich keine Zeit. Leffers hat ins Wohnzimmer gepinkelt. Hinter das Klavier. Das arme Tier spürt genau, dass etwas nicht in Ordnung ist.«
    »Jürgen, nur noch wenige Tage! Ich …«
    »Oh, Leffers, NICHT!« Es wurde aufgelegt.
    Dieses Telefonat hätte mein Gewissen beruhigen sollen, doch das Gegenteil war der Fall. Ich fühlte mich so … verantwortlich. Irgendwann ist ein Mann wie der andere, hörte ich erneut meine Mutter sagen.
    »Packmas?«, fragte Christian.
    »Packmas!«, sagte ich. Christian würde NIE grau und langweilig sein, davon war ich überzeugt. Das war biologisch gar nicht möglich! Ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und starrte auf den inzwischen pechschwarzen Untersberg, den nun keine Abendsonne mehr in rotes Licht tauchte.
    »Fahren wir nach Hause.«

Weitere Kostenlose Bücher