Hera Lind
aufwendiger, als ich dachte, und nachdem wir völlig überraschend den Wiener Philharmoniker bekommen haben, musste ich mich um den auch noch kümmern.«
»Ja.« Jürgen blieb plötzlich stehen und sah mich aus tränenumflorten Augen an. »Und ob du das hast.«
»Wie meinst du das?«
»Der anonyme Mensch schreibt, du hättest den gestern nach dem Konzert im Parkhaus geküsst. Ihr wart beide halb nackt und hattet Bierflaschen in den Händen.«
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Mindestens. Ich vergrub die Hände in den Manteltaschen. Der Köter zerrte so sehr an daran, dass mir fast das Futter eingerissen wäre. Bäckermeister Gerngroß!, dachte ich. Ich bringe dich um. Ich ertränke dich in deinem Rührteig. Ich erstickte dich mit deinen Speckkrapfen. Ich erschlage dich mit deinem Rührbesen. Ich verbrenne dich in deinem Backofen. Was Hänsel und Gretel können, kann ich schon lange. Ich atmete scharf aus. Ruhig bleiben. Demütig bleiben. Kleine Brötchen backen.
»Wir … haben uns noch im Treppenhaus verabschiedet«, beteuerte ich mit halbwegs fester Stimme. »Er hat mir ein Bier gereicht, und wir haben ein bisschen geplaudert.«
Noch während ich das sagte, spürte ich eine ungeheure Empörung in mir aufsteigen. Wie konnte dieser charakterlose Bäckermeister meinen armen Jürgen so verletzen!
»Jetzt weiß ich auch, warum du mich nicht heiraten willst«, jammerte Jürgen selbstmitleidig. »Du hast ein Verhältnis. Und ich blöder Trottel geh noch vor dir in die Knie!« Er stieß ein bitteres Lachen aus, das eher wie ein Schluchzer klang. Er war bis ins Mark gekränkt.
Oh Gott, das hatte ich doch nie gewollt! Nicht eine Sekunde war mir in den Sinn gekommen, er könnte jemals etwas von meinem kleinen Flirt im Parkhaus erfahren! Das hatte er wirklich nicht verdient, so rührend ungeschickt er sich seit Jahren um mich bemühte. Jetzt half nur noch eine Vollbremsung und leugnen, was das Zeug hält. Ich sah meinen Lebensgefährten flehend an und packte ihn am Arm.
»Das ist doch Blödsinn!« Ich lachte eine Spur zu schrill. »Das eine hat mit dem anderen nicht das Geringste zu tun!«
»Das sehe ich aber anders! Ich bin doch nicht blöd, Mann!« Jürgen fuhr sich zornig durch die Haare.
»Wir kannten uns ja bis gestern überhaupt nicht!«, versicherte ich hastig. »Wir sind uns vorher noch nie begegnet!« Verzweifelt rang ich die Hände. »Bitte, das musst du mir glauben!«
Leffers wühlte und scharrte und zog dermaßen an der Leine, dass ich ihn am liebsten an die nächste Straßenlaterne gebunden hätte und einfach weitergegangen wäre.
»Ja, aber gestern, als ich dir den Heiratsantrag gemacht habe, stand er plötzlich feixend in der Tür und hat alles verdorben!« Jürgen wischte sich eine Träne weg.
»Gestern war einfach nicht der richtige Zeitpunkt!« Ich streichelte seinen Arm. »Zwei Minuten vor dem Konzert! Ich musste mich konzentrieren!«
»Ja? Auf den Flötenheini!«
»Nein! Auf hundert Kinder im Orchester!«
»Aber zwei Minuten nach dem Konzert WAR der richtige Zeitpunkt!« Jürgen stieß ein bitteres Lachen aus. »Dich im Parkhaus mit ihm herumzudrücken wie eine billige …!«
»Quatsch, Jürgen, jetzt reicht’s aber. Es war NICHTS!«
»Da habe ich aber etwas ganz anderes zugetragen bekommen!«
Gerngroß!, dachte ich. Du mieses Schwein, das ist also deine Rache. Nie hätte ich geglaubt, dass er meinem Jürgen an Heiligabend eine solche Mail schickt, nur um nicht in Vergessenheit zu geraten. Damit war mein Familienfrieden dahin.
»Wie stehe ich denn jetzt DA!« Jürgen raufte sich die Haare. »Ihr seid gesehen worden, wie ihr euch knutschend im Treppenhaus herumgewälzt habt! Und ich Trottel verteile ahnungslos meine Bauspar-Luftballons!« Er wimmerte jetzt fast. »Weil wir ja solide Partner sind, auf die Heilewelt sich verlassen kann!« Seine Stimme brach.
Oh Gott, er tat mir so leid! Mein Herz zog sich schmerzlich zusammen, und in meinen Ohren rauschte das Blut. »Von Herumwälzen kann überhaupt keine Rede sein!«, ereiferte ich mich.
Leffers, der Köter, wollte sich allerdings sehr wohl herumwälzen. Ich musste über ein Stück maulwurfdurchpflügte Wiese hinter ihm her hoppeln, damit sich die Leine nicht allzu sehr verhedderte.
»Ich will die Wahrheit wissen: Wie lange geht das schon zwischen euch? Hm?« Jürgens Augen bohrten sich in meine.
»Herr Meran ist gestern spontan nach Heilewelt gekommen, weil er ganz in der Nähe einen Meisterkurs gegeben hat!«, beteuerte ich. »Wir
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