Hera Lind
flüsterte der Mann am anderen Ende der Leitung, als handelte es sich um eine Verschwörung.
Da Ursula Kobalik mich erneut in die Rippen stieß und heftig nickte, log ich: »Ja.« Bisher war ich recht einsilbig gewesen. Ich hatte sechsmal »Ja« gesagt. Sonst nichts. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.
»Tja, ich habe lange überlegt, ob und wie ich es Ihnen sagen soll …« Die Stimme des Fremden am anderen Ende der Leitung brach. Weinte der etwa?
»Ja?« Sieben.
»An Heiligabend erreichte mich die Mail eines, ähm, sagen wir mal Freundes, der es gut mit mir meint, und … Sind Sie noch dran?«
»Ja.« Acht.
»Und dieser Herr … na ja, der Name tut nichts zur Sache, ist ein, sagen wir mal, Kunde meiner Frau …«
»Ja?« Neun. Ännchen von Tharau hatte also einen guten Bekannten. Das kommt sogar in Kleinstädten vor.
»Ja, und der ließ mich wissen, dass … So schwer es mir auch fällt, Ihnen das mitteilen zu müssen … Ausgerechnet an Weihnachten …«
»Ja?« Zehn. Mein Gott!, dachte ich. Spuck’s aus! Mein Herz klopfte inzwischen so wild, dass sich der Knoten meines Handtuchs löste und ich es mir mit einer Hand zuhalten musste.
»Er hat jedenfalls beobachtet, wie meine Frau und Ihr Mann eine sehr, ähm, intime Begegnung …« Er schluckte. »Im Treppenhaus. Sie haben zusammen Bier getrunken und … Also, ich sag es jetzt einfach frei heraus: Sie haben sich geküsst.«
Das musste ich erst mal verdauen.
Um Ursula Kobaliks Mundwinkel zuckte es, als müsste sie sich mühsam bremsen, nicht laut zu rufen: Na siehste, Kindchen, ick happes jewusst! Sie stieß mich diesmal der maßen fest und triumphierend zwischen die Rippen, dass es schon richtig wehtat. Mein Herz tat einen dumpfen Schlag, und ich musste mich setzen. Ursula Kobalik hielt mir ihr Glas Champagner hin und legte mir eine Wolldecke über die Schultern. Dabei fror ich gar nicht. Mir brach eher der Schweiß aus.
»Überrascht Sie das?«, fragte Herr Immekeppel. »Ich meine, tut der das öfter?«
Ursula nickte heftig wissend und machte eine Handbewegung, als wollte sie jemanden ohrfeigen.
»Ja, ähm, ich meine, nein. Ich weiß nicht.« Unsicher schaute ich Ursula Kobalik an, die heftige Grimassen schnitt. Was sollte ich denn jetzt sagen? Mein Herz hämmerte, und mein Mund war wie ausgedörrt. Ich war mit dieser Situation komplett überfordert! Außerdem: Ich kannte diesen stotternden Menschen da am Telefon doch gar nicht! Wie kam der dazu, mich anzurufen und mir solchen Blödsinn zu erzählen? Ich wollte ihn einfach nur elegant loswerden. Aber wie? Ich öffnete den Mund, aber mir fiel nichts Passendes ein, also klappte ich ihn wieder zu.
»Ich möchte nur wissen, wie ich Ihren Mann einschätzen muss«, erklärte Herr Immekeppel indessen eifrig wie ein Kriminalkommissar. Vielleicht machte er sich Notizen.
»Wie … einschätzen?«, fragte ich verwirrt.
»Nun ja, Sie müssen verstehen: Ich hatte meiner Frau gerade einen Heiratsantrag gemacht, und sie hat abgelehnt …«
Ursula hörte gar nicht mehr auf, mich mit Rippenstößen zu malträtieren.
»Ihrer … Frau?«
»Na, also meiner bisherigen Lebensgefährtin. Wir haben drei kleine Kinder, und Ihr Mann gefährdet hier eine ganze Familie!«
Der Mann stieß ein merkwürdiges Geräusch aus. War das ein Schluchzen? Ich zuckte zusammen. Ursula Kobalik war total von den Socken.
»Ich muss über diesen Mann alles wissen!«, unterbrach der ungebetene Anrufer unsere ratlose Stille. »Ich brauche Ihre Hilfe! Wir sitzen doch in einem Boot!«
Mein Herz setzte aus. War das hier vielleicht eine Finte? Das konnte doch gar nicht ernst gemeint sein! Fragend sah ich Ursula an, doch die hielt bemüht die Luft an, um nur keinen Piepser von sich zu geben. Drei kleine Kinder? Also das würde Christian nie tun! Er ließ vielleicht seinen Charme spielen, flirtete auch mal, und ich wollte auch nicht ausschließen, dass er möglicherweise auf der einen oder anderen Konzertreise … Ich schluckte. So genau wollte ich das auch gar nicht wissen. Aber eine heile Familie würde er nie zerstören. Außerdem, wie war das noch gleich? Eine heile Familie lässt sich gar nicht zerstören! Warum konnte ich das dann nicht sagen?
»Bitte, ich will mir nur ein Bild von Ihrem Mann machen können«, bedrängte mich der Mann am Telefon. »Ist er ein notorischer Schwerenöter?«
Ich schüttelte stumm den Kopf, während Ursula Kobalik triumphierend nickte.
»Oder meint er es etwa ernst mit meiner Lebensgefährtin?
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