Hera Lind
schlauer.«
»Ja, aber hast du denn damals gar keinen Unterhalt gefordert?«
»Doch, aber erst viel später. Ich hab dann zum Glück den Wolfjank kennengelernt. Der war mein Chef, weeßte. Der hatte schon zwei Scheidungen hinter sich und hat mir jezeigt, wo et langgeht. Und dann hat er es meiner Rosie gezeigt.«
Ja. Und jetzt zeigte er es mir. Gut, dass ich die Kobaliks hatte! Auch wenn sie manchmal nervten in ihrer Aufdringlichkeit – in solchen Momenten zeigt sich, wer die wahren Freunde sind.
»Als Frau muss man sich wehren!« Ursula lachte. »Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd.«
Tja, dachte ich betroffen. Sie sagt wirklich viele weise Sachen. Auch wenn sie zwischendurch viel Blödsinn redet – im Kern hat sie recht. Und am Herd war ich wirklich viel zu lange. Ich wollte darüber nachdenken, ins Berufsleben zurückzukehren. Aber nicht heute. Morgen war ja auch noch ein Tag.
LOTTA
Tagelang schlich ich schuldbewusst durch die Stadt. Immer wenn ich mit den Kindern unterwegs war und wir an einem alten Konzertplakat vorbeikamen, schlug mir das Herz bis zum Hals. Aber Jürgen hatte mir versichert, die Stadt sei »sauber«. Er hatte vorgeschlagen, den Stier bei den Hörnern zu packen und die alten Plakate durch neue zu ersetzen:
»Wir machen eine Aktion, die ganz klar Stellung bezieht«, erklärte er mir eines Abends eifrig. »Ganz Heilewelt soll sehen, dass wir zusammengehören und dass uns diese Schmierereien nicht auseinanderbringen.«
Ich badete gerade die Zwillinge und saß mit Quietschente und Shampooflasche auf der Klobrille, während die Mädchen sich gegenseitig Schaum in die Augen pusteten. Noch lachten sie.
Jürgen stand im Mantel in der Badezimmertür und kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Das kostet die Sparkasse zwar eine hübsche Summe, aber ich verantworte das. Allein schon, damit du wieder besser schlafen kannst.«
Ja, ich hatte seit Weihnachten nie länger als zwei Stunden am Stück geschlafen. Schon deshalb, weil ein paarmal mitten in der Nacht mein Handy geklingelt hatte. Ich hatte die Ohren gespitzt, und mein Herzklopfen hatte sich stundenlang nicht wieder beruhigt. Aber natürlich war ich nicht aufgestanden, um nachzusehen, wer dran war. Jürgen hatte mir das Handy wieder zurückgegeben. Und ich wollte ihm beweisen, dass ich sein Vertrauen nicht missbrauchte. Ich gehörte zu Jürgen, in die Betthälfte links neben ihm.
»Ich habe bei einem Grafiker bereits einen Entwurf in Auftrag gegeben. Wie findest du ihn?« Jürgen hielt mir seinen Laptop vor die Nase: »Wir sichern Ihren Kindern eine Zukunft! – Neuanmeldungen für die Musikschule jetzt in Ihrer Sparkasse!«, las ich. Und das alles vor einem vergrößerten und professionell bearbeiteten Familienfoto von Jürgen, den Kindern und mir. Es war im letzten Sommer aufgenommen worden. Ich hatte es bisher abgelehnt, die Kinder für Werbezwecke einzusetzen, aber jetzt war ich dankbar dafür. Das setzte ein klares Zeichen! Wir lachten alle entspannt in die Kamera. Die Kinder hatten ihre Musikinstrumente in der Hand, und ich lehnte lächelnd mit einem Notenblatt und dem Dirigentenstab über dem Flügel. Jürgen stand mit seinen gelben Luftballons auf der anderen Seite und wirkte sehr zufrieden.
»Die Luftballons hat der Grafiker eingefügt. Das sieht doch ganz natürlich aus, oder?!«
Jürgens schütteren Haaransatz hatte er ebenso wegretuschiert wie seinen Bauch, der eigentlich über den Flügel quoll. Ich kannte das Bild ja aus unserem Familienalbum. Bei mir hatte er die wirren roten Haare geglättet und die Sommersprossen weggezaubert. Wir sahen aus wie eine Reklame-Familie aus dem Werbefernsehen. Toll!
Jürgen strich den Mädchen über die nassen Haare. »Wir sind eine Festung, die niemand einnehmen kann.« Er klapp te seinen Laptop zu und stampfte wieder die Treppe hi nunter.
Während ich die Mädchen einzeln aus der Wanne hob, sie abtrocknete, föhnte, kämmte und ihnen frische Schlafanzüge anzog, dachte ich über den Satz meiner Mutter nach: Liebe kann wachsen. Ja, eigentlich konnte sie das. Wie Jürgen mir mit den Plakaten geholfen hatte, das war schon lieb von ihm. Er hatte Zeit und Geld geopfert, um die Stadt neu zu plakatieren. Er stand zu mir. Im Gegenzug hatte ich es geschafft, nicht mehr an Christian zu denken. Und auch nicht mehr an Sophie. Jürgen sollte mein Vertrauter sein, mein Fels in der Brandung! Ihm war es auch lieber, wenn ich mich nicht mehr mit Sophie abgab. Natürlich hatte ich ihm von Schaumschlägers
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