Hera Lind
lassen. Er hielt sich für unheimlich schlau. Ständig programmierte er irgendwas. Mich wollte er auch programmieren. Mir ein Bein stellen. Mich zu Fall bringen. Damit ich vor ihm zu Kreuze kroch. Demütig zu ihm zurückkehrte. Mit solch unfairen Tricks wollte er sich meine Liebe sichern. Mir blieb fast die Luft weg. Sein mildes, mitleidiges Lächeln, als er sich meinen Kummer wegen Schaumschläger und Sophie angehört hatte. Dieses … triumphierende Lächeln! Und ich war fast erstickt an meinen Schuldgefühlen. Weil ich eine Schlampe war, eine Rabenmutter. Ja, ich hatte Christian Meran geküsst. Ja, ich hatte mich in diesen Mann verliebt! Und ja, ich wäre am liebsten mit ihm auf und davon. Aber ich hatte mich tausendmal da für entschuldigt, Besserung geschworen, mich strikt an Jürgens Anweisung gehalten, ihn nicht anzurufen. Ich war tief be schämt durch die Stadt geschlichen, nachdem ich die Plakate gesehen hatte …
Moment mal! Ein Messer bohrte sich in meine Eingeweide. Genau zwei waren es gewesen, an sehr belebten Stellen. Und genau dorthin hatte Jürgen mich auf unserem Spaziergang geführt. Und rein zufällig hatte er einen dicken schwarzen Stift in der Tasche gehabt … Wie dankbar ich ihm gewesen war! Es gibt doch einen Gott!, hatte ich ausgerufen. Und er hatte gesagt, dass er es nicht mag, wenn ich in seinen Taschen wühle.
Auf einmal war mir alles klar. Er hatte die Plakate selbst beschmiert. Er hatte die Worte »Schlampe« und »Rabenmutter« selbst geschrieben. Und mit diesem Mann wollte ich den Rest meines Lebens verbringen? Liebe kann wachsen? Verachtung kann wachsen. Die Erkenntnis traf mich wie ein Keulenschlag.
»Lotta? Bist du okay?« Caspar wedelte mit einem nassen Handtuch vor meinem Gesicht herum, und Paulchen hörte endlich auf, mich mit seinem Krokodil zu bedrohen und vollzuspritzen.
»Ich will endlich raus aus der Wanne, ich bin ja schon ganz durchweicht! Außerdem spielt ihr gar nicht mit mir, ihr seid schon genauso langweilig wie Papa mit seinem ewigen Computer.« Seine Knabenstimme klang immer unbehaglicher. »Mama, was machst du denn da?«
Mir war so schwindelig, dass ich nach vorn kippte und mich mit letzter Kraft am Wannenrand abstützte. Ich war demütig zu Jürgen zurückgekehrt und hätte ihn aus lauter Schuldgefühlen heraus bei nächster Gelegenheit geheiratet. So also wollte sich Jürgen meine Liebe sichern! Indem er mich für den Rest meines Lebens kontrollierte. Das war doch krankhaft! Panik erfasste mich. Ich musste sofort hier weg. Noch heute. Mit den Kindern.
»Mama, du kotzt doch wohl nicht?«
Ich sah, wie Paulchens Füße laut platschend das Weite suchten, als ich mich in sein Badewasser übergab.
Caspar saß am Steuer, als wir über die weiße Kiesauffahrt zu Sophies Villa hinauffuhren. Ich war nicht mehr in der Lage dazu. Ich hatte mir die Seele aus dem Leib gekotzt und mindestens zehnmal die Klospülung betätigt: Mein ganzes bisheriges Leben mit dem falschen Mann am falschen Ort wollte ich in die Kanalisation spülen. Jürgen hatte nur völlig irritiert in der Badezimmertür gestanden und sich den Ellenbogen gekratzt: »Hat sie was Falsches gegessen? Was ist denn los? Soll ich den Krankenwagen rufen?«
Caspar hatte alle drei Kinder mitsamt Bettdecken und Schmusetieren wortlos zum Auto getragen und mich, als ich endlich wieder schnaufen konnte, einfach hinterhergeschoben.
Jürgen hatte ratlos im Vorgarten gestanden, als wir kommen tarlos weggefahren waren. Die Wanze hatte ich noch aus dem offenen Autofenster geworfen. Ihm vor die Füße. Seinen entsetzten Blick, als er sie aufhob, hatte ich noch genau gesehen.
Als das elektrische grüne Tor der Schmalenberg-Villa wie von Geisterhand aufging, fühlte ich, wie die Totenstarre von mir abfiel. Sophie war mir nicht böse, öffnete mir ihr Haus. Ich sank in ihre ausgebreiteten Arme.
»Du bist ja ganz nass und blass und …« Sie schnüffelte. »Hast du gekotzt?«
Ich kniff die Lippen zusammen und hielt den Kopf gesenkt.
»Jetzt nimmst du erst mal ein heißes Bad, und dann bekommst du ein paar frische Klamotten von mir.«
Caspar rannte bereits mit den Kindern nach oben, wo Clemens und Max ihnen schon begeistert entgegenliefen. Man hörte sie Türen knallen, jubeln und kreischen.
»Jürgen hat uns belauscht«, sagte ich wenig später, als ich mit geputzten Zähnen bis zum Hals im Schaumbad lag. »Er hatte mir ein Aufnahmegerät in die Handtasche geschmuggelt.«
»Ich habe mir schon so was gedacht«, sagte
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