Hera Lind
Besuch in meinem Büro erzählt.
»Das ist ja gerade noch mal gut gegangen!«, hatte Jürgen gesagt. »Das hätte deine ganze Karriere zerstören können. Sieh es als Warnschuss!« Dabei hatte er sich nervös am Ellenbogen gekratzt.
Ja, das musste ich wohl. Ich fiel einfach immer wieder auf die falschen Leute rein. Die Mädchen waren fertig und hüpften lachend in ihr Zimmer. Sie dufteten wirklich zum Anbeißen. Schade, dass Jürgen sich so wenig mit ihnen beschäftigte. Immer hockte er über seinem Laptop. Dabei spielte sich das wahre Leben doch jenseits des Bildschirms ab! Ihm entging so viel! Ich wischte den nassen Boden auf, ließ frisches Badewasser ein, öffnete die Badezimmertür einen Spaltbreit und rief: »Paulchen, jetzt bist du dran!«
Kurz darauf kam Caspar mit Paul die Treppe herauf. Sie hatten im Keller gebastelt. Das taten sie schon tagelang, und ich war froh, dass Paulchen Caspar hatte, eine männliche Bezugsperson. Sein Vater hatte zwar schon einen Bausparvertrag für ihn eingerichtet, aber noch nie einen Drachen mit ihm steigen lassen.
»Na, ihr Handwerker? Caspar, wenn du gleich mitbadest, gehe ich solange raus.« Die beiden hatten ganz schwarz verschmierte Hände.
»Du, Lotta, ich hab hier was …« Caspar zog verlegen ein kleines schwarzes Etwas aus seiner Hosentasche.
»Was ist das?« Irritiert sah ich das kleine Ding an. »Du weißt doch, ich verstehe nichts von Technik.«
»Ich glaube, das ist eine Wanze«, sagte Caspar leise, während Paulchen bereits vergnügt in die Wanne glitt.
»Eine Wa… was?« Bestimmt ein Sprachproblem. Caspar machte oft süße Fehler, wenn er das passende Wort auf Deutsch nicht wusste. Er hatte zum Beispiel schon B-Meise statt Ameise und Heulbaum statt Trauerweide gesagt.
»Wir haben im Keller gespielt«, flüsterte Caspar. »Und dabei habe ich gesehen, dass ein Draht in den alten Schuhschrank an der Wand führt. Der, in dem ihr die Skisachen und Wanderschuhe aufbewahrt …«
»Ja?« Mir wollte sich der Sinn seiner Worte nicht so recht erschließen. Und warum war Caspar so verstört? »Hat sich Paulchen irgendwie verletzt?« Ich warf einen hastigem Blick auf meinen arglos planschenden Sohn.
»Nein, er hat nichts davon mitgekriegt. Ich habe den Draht untersucht und geschaut, wohin er führt … Er führt in dein Arbeitszimmer, und da steckt dein Handy im Ladegerät.«
Mir wurde ganz flau. Jäh wollten mir die Beine wegsacken. Ich sank auf den geschlossenen Klodeckel.
»Mama! Jetzt kommt das Krokodil, das FRISST dich! WOAAAAHHHH!«
»Jetzt nicht, Paulchen! Warte mal, was willst du damit sagen, Caspar?«
»Na, ich habe gerade unten gestanden und gehört, wie oben dein Handy läutet. Da hat es im Schrank geknackt, und ein rotes Lämpchen ist angegangen.« Caspar biss sich auf die Lippen.
»HUUUUUU!«, kam es aus der Badewanne. »Ich bin ein ganz GEFÄHRLICHES Raubtier! Ich schnappe zu, wenn ihr es nicht erwartet!«
»Wie … Wie …« Mir verschlug es komplett die Sprache.
»Ja, also da läuft ein Band mit. Ich wollte dich nicht erschrecken und hoffe, du bist mir nicht böse, aber ich habe es mir erst mal angehört. Er belauscht deine Telefonate. Und er hat auch deinen Besuch bei Sophie belauscht.«
Er steckte das kleine schwarze Ding in eine Art Aufnahme-/Abspielgerät. Es war so winzig klein, dass man es unauffällig in der Jackentasche bei sich tragen, in einem Schrank verstecken … oder in einer Handtasche deponieren konnte.
Das war doch nicht … Das würde Jürgen doch nie …? Mir wurde übel. Er hatte mich abgehört?
Caspars Finger zitterten, als er mir die dazugehörigen Kopfhörer in die Ohren steckte. Selbst war ich dazu überhaupt nicht in der Lage. Es knackte und rauschte, und dann hörte ich die Telefonate, die ich seit Weihnachten geführt hatte.
Mit meiner Mutter: »Ich habe den Gulaschtopf gespült, ihr könnt ihn beim nächsten Mal wieder mitnehmen. Sag Vater, er muss wirklich nicht mitkommen, wenn ihm der Lärm zu viel wird.«
Dann mit einer Nachbarin: »Natürlich lassen wir die Rollläden bei Ihnen runter. Ich weiß ja, wo der Schlüssel liegt! Dann eine schöne Reise zu Ihren Kindern …«
Mit Eltern meiner Musikschulkinder: »Ja, danke, es war wirklich ein schönes Konzert, und Ihr Maximilian darf nächstes Jahr die zweite Geige spielen …«
Mit meiner Sekretärin: »Haben Sie die Noten gefunden, Frau Zweifel? Bestellen Sie für nächstes Jahr das ganze Orchestermaterial für ›Carmina Burana‹. Nein, mit Herrn
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