Hera Lind
dass er ein Arschloch ist!«
Oh. Oh Gott. Das hatte ich so nicht sagen wollen. Jetzt ging die Wut mit mir durch. Ich drosselte automatisch das Tempo, denn Grazia blieb nun ihrerseits schnaufend zurück.
»Papa ist kein Arschloch!«, schrie sie wütend hinter mir her. Kopfschüttelnde Jogger überholten uns.
»Nein. Entschuldige. Natürlich nicht.«
»Also? Redest du wenigstens noch mal mit ihm? Papa sagt, er geht auch gerne mit dir zu einer Eheberatung! Du musst ihm doch noch eine Chance geben!«
»Liebes, wir schaffen das auch allein. Die Kobaliks beraten mich bereits hervorragend.«
»Was haben die eigentlich damit zu tun?« Grazia zog verärgert ein Taschentuch aus der Hose und schnaubte hinein. »Wenn Gloria und ich uns streiten, sagst du doch auch immer, dass wir das untereinander regeln sollen.«
»Die Kobaliks haben beide schon eine Scheidung hinter sich, und ihre Tochter auch. Die wissen genau, was zu tun ist!«
»Bist du sicher, Mama? Dass die unser Vorbild sind?«
»Sie helfen uns, laden uns ins Musical ein und spendieren uns ein tolles Hotel!«, rief ich meiner Tochter wieder ins Gedächtnis. »In unserer Abwesenheit regeln sie alles, damit es uns nicht so wehtut. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar.«
»Mich stört das, Mama! Ich kann die nicht leiden, diese großkotzigen Angeber! Jeden Tag sitzen die jetzt bei uns rum! Und Papa darf nicht mehr rein! Ich finde das nicht fair, Papa gegenüber!«
Ach! Wie fair war ER denn? Ich stieß ein verärgertes Schnauben aus. »Papa hat überall auf der Welt eine andere Freundin. Und ich habe niemanden, nur euch. Aber euch möchte ich nicht damit belasten. Deshalb brauche ich die Kobaliks.«
»Papa hat keine Freundinnen!«
»Kobaliks kennen mindestens ein Dutzend. Mit Namen.«
»Aber Papa sagt, er ist dir nie fremdgegangen!« Wütend stampfte Grazia mit dem Fuß auf.
»Hat er das wirklich gesagt?« Irritiert starrte ich sie an.
»Ja-ha! Ich hab dir doch gesagt, er hat voll keine Ahnung, wieso du so krass drauf bist!«
Leise Zweifel schlichen sich ein, und unwillkürlich lief ich wieder schneller. »Was sagt Papa denn noch?« Mein Herz klopfte wie wild.
»Dass er dir Zeit geben, dich in Ruhe lassen will, bis du dir die Sache noch mal überlegt hast. He, Mama, ich kann nicht so schnell.«
»Liebes, da gibt es nichts zu überlegen. Er hat mich immer wieder betrogen. Und damit ist jetzt Schluss.« Ich trat einen Stein vor mir her, bis er seitlich im braunen Gras verschwand.
»Und das weißt du von den Kobaliks.«
»Das weiß ich von den Kobaliks UND von dem Mann einer Frau, mit der Papa mich ebenfalls betrogen hat.«
»Der Typ von der Sparkasse. Der bei uns angerufen hat. Und dem glaubst du mehr als Papa?«
»Ja. Wenn schon gehörnte Ehemänner bei gehörnten Ehefrauen anrufen, und das auch noch an Weihnachten, dann ist doch das Maß voll, oder?«
Grazia sagte nichts mehr. Plötzlich blieb sie stehen und keuchte: »Ich habe Seitenstiche.«
»Seitenstiche sind besser als Herzstiche«, sagte ich. Den Rest der Alsterrunde absolvierten wir im Schritttempo.
LOTTA
»Servus, wie geht’s?«
»Ähm … ich bin gerade nur etwas überrascht.«
In aller Hast hatte ich mich in Sophies Bademantel gehüllt und kauerte nun auf dem Fußboden. Die Beine waren mir regelrecht weggesackt. Sophie hatte mir Champagner nachgeschenkt und sich diskret zurückgezogen.
»Mir geht es ganz gut«, krächzte ich schließlich, als das Herzrasen sich so weit gelegt hatte, dass ich meine eigene Stimme wieder hören konnte. »Und selbst?«
»Nicht so gut«, sagte Christian mit einer mir seltsam vertrauten Stimme. »Meine Frau hat die Scheidung eingereicht, und ich bin meinen Job los.«
Mir zog sich der Magen zusammen. Grüne Sterne tanzten vor meinen Augen.
»Aber … warum denn das?« Das konnte doch nicht wahr sein! Doch nicht wegen … UNS! Oh Gott, Jürgen hatte sie angerufen. Er hatte gepetzt. Aber das sollte doch nur ein Warnschuss sein! Der war doch jetzt nicht etwa nach hinten losgegangen? Oh, bitte nicht!, dachte ich. Bitte sag, dass du nichts von diesem peinlichen Anruf weißt.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Christian, und beim Klang seiner Stimme kribbelte es in meinem Unterbauch, als hätte sich ein ganzer Ameisenhaufen dorthin verlaufen. »Seit Heilewelt ist meine Welt nicht mehr heil.«
»Die Wiener Philharmoniker haben dich … gefeuert?« Ich presste mir die Fäuste an die Schläfen. Das hatte mit mir nichts zu tun. Das KONNTE mit mir gar nichts zu tun
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