Hera Lind
auch nicht.«
»Nein.« Das Blut pochte mir in den Schläfen. »Was … was hast du jetzt vor?«, fragte ich kleinlaut. Meine Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Christian nach langem Zögern. »Weißt du, meine Lebenssituation hat sich komplett geändert.« Er suchte nach den richtigen Worten. »Meine Frau fordert das Haus, einen sechsstelligen Zugewinnausgleich und Unterhalt für sich und die Kinder. Ich darf mich dem Haus nicht nähern. Ich komme mir vor wie ein Verbrecher.«
»Aber kannst du nicht noch mal mit ihr reden?«, fragte ich zaghaft wie ein Kind, das ein Spielzeug kaputt gemacht hat und hofft, es sei noch zu reparieren.
Wieder kam sehr lange nichts.
»Das habe ich versucht. Aber jetzt, wo ich weiß, was da hinter meinem Rücken gelaufen ist … Und mit welchen Bandagen sie plötzlich kämpft … Ich soll sie angeblich geschlagen haben!«
Diesmal blieb ich länger stumm. Hatten die Kobaliks recht? Hatte ich mich in einen miesen Gewalttäter verknallt?
»Dem Gericht liegt ein Foto vor, auf dem sie ein blaues Auge hat.«
Ich zögerte, doch dann wagte ich die Frage zu stellen. »Und? Hast du?«
»Natürlich nicht.«
Wir schwiegen beide.
»Wirst du der Scheidung zustimmen?«, fragte ich schließlich mit einer Mischung aus Angst und Hoffnung.
»Wahrscheinlich. Und du?«
»Ich bin nicht verheiratet.«
»Ach ja. Richtig. Also … wirst du bei deinem traurigen Helden bleiben?« Er lachte verbittert.
»Ich weiß nicht …Er ist der Vater meiner Kinder.«
»Lotta, darf ich dir was sagen?«
»Ja, aber schnell … Es kommt jemand.«
Auf der Treppe hörte ich schwere Schritte. War Sophies Mann wieder da? Unwillkürlich hielt ich meinen Bademantel über der Brust zusammen. Was Christian sagte, konnte ich nicht so genau verstehen. Irgendwas mit Chance oder so.
»Hör zu, ich glaube, ich muss Schluss machen …«
»Darf ich dich wieder anrufen? Ich glaube, ich bin ein bisschen am Durchdrehen …«
Ja gern!, hätte ich am liebsten geschrien. Ruf mich jederzeit an. Dreh ruhig noch ein bisschen durch. Du kannst dir doch denken, dass ich von nun an jede Sekunde darüber nachdenken werde, wie es mit dir weitergeht. Und am Durchdrehen bin ich nicht nur ein bisschen.
Es war auf jeden Fall nicht Sophie oder eines der Kinder. Es waren viel schwerere Schritte.
»Darf ich dich anrufen, wenn ich Sehnsucht nach dir habe?«, fragte Christian plötzlich mit rauer Stimme. Oh Gott, davon träumte ich, seit ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte!
Die Schritte waren jetzt schon ganz nahe herangekommen.
»Und das wäre wie oft?«, hauchte ich, einer Ohnmacht nahe.
»Stündlich. Nein, im Ernst, Lotta. Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.«
Die Tür ging auf.
Es war Jürgen, der schwitzend und freudestrahlend in der Tür stand. Auf jedem Arm einen Zwilling und an jedem Zwil ling ein Dutzend gelbe Luftballons. Er hatte die beiden Fünfjäh rigen die Treppe hinaufgeschleppt?! Ach ja, er hatte ja versprochen, sich ab sofort um die Kinder zu kümmern. Er machte Ernst, er hielt Wort! Und ich? Hatte ich nicht gerade mein Versprechen gebrochen? Die Kinder grinsten mich glücklich an und streckten die Arme nach mir aus.
Halt mich, halt mich fest, zeig mir den richtigen Weg, hilf mir, die richtige Entscheidung zu treffen!, wollte ich schreien, wusste aber nicht, wem das galt.
»Wenn du mich liebst, rufst du mich nie wieder an«, flüsterte ich mit einer seltsam fremden Stimme ins Handy und klappte es mit zitternden Fingern zu. Hastig steckte ich es in Sophies Bademanteltasche. Mit zittrigen Beinen taumelte ich wie ein staksiges Reh auf meine Familie zu.
ANITA
Zu meiner Überraschung willigte Christian auf einmal in die Scheidung ein. Seine ständigen Anrufe auf der Mailbox hatten schlagartig aufgehört, so als hätte er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Ich interpretierte das als Schuldeingeständnis. Die Kobaliks hatten ihn überführt, und er hatte aufgegeben. Es war merkwürdig, aber ich empfand keine Erleichterung. Im Gegenteil! Eher hatte ich gehofft, er würde noch etwas um mich kämpfen. Fast wäre ich bereit gewesen, es noch mal zu versuchen. Wir waren achtzehn Jahre verheiratet gewesen! Da gibt man nicht einfach so auf! Fast hatte ich gehofft, er würde mir Blumen schicken, Liebesbriefe schreiben, um Verzeihung bitten. Das hätte frischen Wind in unsere Eheflaute bringen können. Doch jetzt empfand ich eine merkwürdige Leere, gepaart mit Enttäuschung. Es passte nicht
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