Hera Lind
Schlafzimmer dagegen hing ein Kind, das Kullertränen weinte und dem Betrachter seine Speckärmchen entgegenstreckte. Diese Meisterwerke schienen noch drüben zu hängen. Oder aber oben bei uns im ersten Stock. Das würde auch die Entsetzensschreie der Kinder erklären, die gerade an mein Ohr drangen. Immer wieder drehte ich mich um meine eigene Achse und staunte. War das hier unser Haus? Was war passiert? War das ein Albtraum? Würde ich gleich aufwachen und mit Christian auf dem Sofa sitzen? Ich betete inbrünstig darum.
Meine Fassungslosigkeit fehlinterpretierend, sagte Ursula: »Dafür haben Jarek und Olga das ganze Wochenende geschuftet. Toll, was?«
Ich wollte etwas erwidern, aber mir blieb das heisere Krächzen im Halse stecken.
»Währenddessen habe ich mich ums Geschäftliche gekümmert.« Zufrieden ließ sich Wolfgang Kobalik auf mein Ledersofa fallen, auf dem seit Neuestem eine braune Lamadecke lag, und streckte sich genüsslich aus. »Dem schweineteuren Anwalt Steiner habe ich schon mal die erste Rate überwiesen. Der wollte natürlich Kohle sehen.«
Ich starrte ihn stumm an.
»Ja, Wolfgang, das kriegste ja zurück«, meldete sich Uschi aus der Küche. Sie schnitt gerade die Buttercremetorte an. »Unser lieber Christian wird das alles zahlen müssen.«
Ich fühlte mich verpflichtet, ihnen zu danken. Dann bedankte ich mich natürlich noch für das schöne Hamburg-Wochenende. Ich stand wirklich tief in ihrer Schuld.
»Freut uns, wenn ihr es schön hattet.« Ursula Kobalik kam mit zwei Kuchentellern aus der Küche und stellte sie auf die Häkeldecke. »Komm, nimm die Füße vom Tisch, Wolfgang. Wir sind hier nicht zu Hause.«
Verdutzt glotzte ich sie an. Nein? Sie waren hier nicht zu Hause? Und wussten das auch noch?
»Wir haben deinem lieben Gatten mal ein bisschen am Stuhl gesägt«, sagte Wolfgang Kobalik schmunzelnd, während er sich mit Appetit über die Buttercremetorte hermachte.
Ich schaute erschrocken unter den Tisch.
»Nein, Dummchen! Nicht hier!«, lachte Wolfgang und verschluckte sich fast an der Sahne.
Ursula brachte die Kaffeetassen und drückte mir eine davon in die Hand. »Wir meinen doch seinen Arbeitsplatz!«
»Grazia hat schon so was angedeutet …«, hob ich hilflos an. »Christian ist vorläufig beurlaubt?«
Wolfgang Kobalik nickte vielsagend und kniff dabei die Augen zusammen. »Auf unbestimmte Zeit. Der Lauser hat sich ja nur noch in der Weltgeschichte rumgetrieben, statt seine Pflichten wahrzunehmen.«
»Wirklich? Ich meine, er hat doch …«
»Gestern war schon ein Vorspiel«, grunzte Wolfgang Kobalik zufrieden. »Ham wir uns natürlich angehört.«
»Ja, und sie haben auch schon einen jungen Koreaner engagiert«, verkündete Ursula erleichtert, so als sei es ihr gelungen, das Orchester zu retten.
»Janz wunderschön hat det Schlitzauge vorjespielt. Wir kannten die Stücke ja alle schon. Von Christian.«
»Ja, was die Flötentöne anbelangt, sind wir inzwischen Experten!« Wolfgang Kobalik biss zum Nachtisch frohgemut das Mundstück seiner Zigarre ab und spuckte es auf den Teppich. »Hahaha, kleiner Scherz!« Er tätschelte mir jovial den Oberschenkel. »Mädchen! Jetzt lach doch mal! Wir tun hier wirklich alles, um dich aufzuheitern!«
Mir war gerade kein bisschen zum Lachen zumute.
»Aber das ist doch nicht endgültig? Ich meine, Christian ist doch nur vorübergehend beurlaubt?«
»Der soll einfach mal Zeit zum Nachdenken haben!« Wolfgang Kobalik lehnte sich zurück und verschränkte die Hände über seinem Bauch. »So viel Scheiße, wie der jebaut hat, soll der ruhig mal Muffensausen kriegen.«
»Aber ihr habt meinem Mann die Existenz geraubt! Begreift ihr das denn nicht?« Verzweifelt sprang ich auf und warf die Hände in die Luft. »Es ist ja gut und schön, dass ihr euch so auf meine Seite stellt, aber es ist doch auch MEINE Existenz! UNSERE Existenz!« Ich zeigte auf die gerahmten Fotos unserer Kinder auf dem Flügel. Erstaunlich, dass sie überhaupt noch dort standen.
»Aber Mädchen, jetzt reg dich doch nicht so auf!« Ursula hatte schon wieder eine Flasche Champagner in der Hand. »Hier, ich bin so frei …« Sie schenkte unsere Gläser voll. »Der Kerl hat so viele Möglichkeiten, zu spielen, zu unterrichten und in ländlichen Musikschulen den Lehrerinnen den lustigen Vogel zu blasen …«
»Uschi!«
»Ist doch wahr! Der wird dir dein Häuschen schon zahlen. Und so viel isst du ja nicht.« Vorwurfsvoll wies sie auf das Buttercremetortenstück,
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