Hera Lind
wegzublinzeln.
»Also, damit du dir deine Flausen ein für alle Mal aus dem Kopf schlägst: Meinetwegen kannst du mit diesem Herrn über alle Berge fliehen, aber die Kinder bekommst du nicht!«
»Wie … Ich meine, wie kommst du denn darauf?«, stammelte ich und versuchte mit brennenden Augen, das Kleingedruckte zu entziffern, das Jürgen mir triumphierend vor die Nase hielt. Vergeblich, dafür war ich viel zu aufgeregt.
»Ich habe dem Herrn vom Familiengericht mal Auskunft über deinen Lebenswandel gegeben und ihm das kleine Tonband vorgespielt, auf dem du ganz klar sagst, dass du diesen Herrn heiraten und mit ihm abhauen willst.«
»Du hast … Aber du hast doch versprochen, so etwas nie wieder zu tun!«
»So wie du mir versprochen hast, Christian nicht anzurufen …«
»Ich HABE Christian auch gar nicht angerufen!«, schrie ich mit Verzweiflungstränen in den Augen. »Er hat MICH angerufen!« Wütend blinzelte ich sie weg und bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust. »DU hast ihn angerufen, du Vollkoffer! Du hast ihm gesagt, er soll mich abholen, er könnte mich haben! Bin ich eine Berberfrau oder was? Handeln wir hier mit Kamelen?!«
»Das scheint ja dein innigster Wunsch zu sein, dass er dich abholen kommt! Da dachte ich, ich komme ihm entgegen!«
»Ja, verdammt!«, entfuhr es mir, und ich riss jede Menge Klopapier ab, weil mir das Wasser aus den Augen und der Rotz aus der Nase schoss. »Ich möchte in der Tat mit Christian abhauen!«, schluchzte ich. »Und mit ihm leben! Und wenn wir Steine klopfen müssen! Deinetwegen hat seine Frau nämlich die Scheidung eingereicht. Deinetwegen ist er nämlich arbeitslos geworden und sitzt jetzt auf der Straße!«
Jürgen war aufrichtig bestürzt.
»Du bist so ein fürchterlicher Idiot!«, schluchzte ich und verschmierte meine Schminke mit Klopapier. »Begreifst du das denn nicht! Du hast die ganze Sache doch erst ins Rollen gebracht! Ich hatte überhaupt nicht vor, dich zu verlassen!«
»Aber ich habe BEWEISE, dass du mich verlassen willst!«, rief er hilflos. »Ich habe BEWEISE, dass du einen anderen heiraten willst! Und ich habe BEWEISE, dass du dich mit ihm im Parkhaus herumgedrückt hast. All diese BEWEISE liegen dem Familiengericht vor! Und es gibt einen vorläufigen Beschluss, dass ICH die Kinder kriege!« Er warf mir die Gerichtspapiere in den Schoß: »Lies sie in Ruhe durch, bevor du einen unüberlegten Schritt tust und unsere Familie zerstörst!« Auch in seinen Augen standen Tränen. Er stürmte aus dem Badezimmer und polterte die Treppe hinunter.
Ich stürmte hinterher: »DU tust ständig unüberlegte Schrit te, DU spielst hier dauernd Schicksal, DU zerstörst unsere Familie!«
Unten vor der Haustür stand jemand. Durch die Milchglasscheibe konnte ich eine dunkel gekleidete Gestalt sehen. »Caspar ist zurück«, sagte ich mit gedämpfter Stimme. »Können wir jetzt bitte aufhören zu keifen wie die Kesselflicker?«
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und Caspar kam herein. Doch er war nicht allein. Hinter ihm stand noch jemand. Ein Blumenbote oder so. Mein Herz raste. Christian hatte vielleicht nicht selbst kommen können, aber er hatte Blumen geschickt?
Jürgen riss die Tür bis zum Anschlag auf. Ein verdammt gut aussehender Blumenbote war das, im perfekt sitzenden dunklen Anzug. Er hatte mindestens dreißig samtrote Rosen dabei. Ich sah ihm ins Gesicht, und mein Herz setzte einen, ach was, mehrere Schläge aus. Es war Christian! Er war da! Er war tatsächlich gekommen! Wurde das Märchen wahr, das ich Paulchen vorgelesen hatte? Suchend sah ich mich nach dem Pferd um, aber stattdessen stand ein schwarzer Mercedes vor unserem Gartentor. Jürgen taxierte Christian, den Luxusschlitten und den Mega-Rosenstrauß. Er war völlig überrumpelt.
»Ich habe nicht gleich hergefunden«, sagte Christian entschuldigend. »Da habe ich diesen jungen Mann gefragt, und was für ein Zufall: Er wollte auch in den Borkenkäferweg. Darf ich?«
»Ja, kommen Sie herein«, brummte Jürgen und sah sich hastig um, weil er wissen wollte, ob Frau Ehrenreich den Besuch bemerkt hatte.
Am liebsten hätte ich mich in Christians Arme fallen lassen wie Scarlett O’Hara in die von Rhett Butler. Es war ein Spiel mit dem Feuer, das Jürgen erneut angestoßen hatte. Wir hatten beide gezündelt. Aus Wut, Enttäuschung, Hilflosigkeit und Sehnsucht. Aus Sehnsucht nach einem anderen, besseren Leben. Und nun loderten die Flammen lichterloh. Direkt vor unserer Haustür. Nur dass es
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