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Herbst - Läuterung

Herbst - Läuterung

Titel: Herbst - Läuterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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gewundenen Küstenstraße, die zurück auf das andere Ende der Insel führte, spazieren zu gehen. Als ihm kalt wurde, sprang er von der Steinmauer herunter und schlenderte abwärts auf das Meer zu. Seine Füße knirschten geräuschvoll auf dem Kiesstrand, als er sich dem Ozean näherte. Die Wellen waren bald laut genug, um das Geräusch seiner schweren Schritte zu übertönen.
    Er war den ganzen Tag über betriebsam und beschäftigt gewesen, doch nun, da er die Arbeit eingestellt hatte, stellte er fest, dass er sich wieder von dunklen und qualvollen Gedanken geplagt sah. In seiner Verfassung waren Emma und die plötzliche reale Kluft vorherrschend. Warum zum Teufel hatte er sie auf dem Festland zurückgelassen? Hätte sie nicht mit ihm nach Cormansey kommen können? Sie wäre von größerem Nutzen gewesen als dieser verdammte Danny Talbot. Michael hatte nichts gegen ihn, aber er war jung und unerfahren; während die Gruppe vorhin das Dorf gesäubert hatte, war er nur wenig hilfreich gewesen. Emma hingegen war bei Weitem routinierter. Sie hatte Mut und Kraft. Wenn es hart auf hart kam, dann hatte sie keine Angst davor zu tun, was sie tun musste, um zu überleben. Wenn er zurückblickte und an einige der Überlebenden dachte, die die Straße runter im Pub saßen, kam er zu dem Entschluss, dass einige von ihnen lediglich nach dem stereotypen Schema ausgewählt worden waren, geeignet zu sein, um zu kämpfen und das Land zu säubern: jung, in guter körperlicher Verfassung und männlich. Es war ein tragisches Armutszeugnis für Michael, dass selbst nach allem was geschehen war, er und die anderen Überlebenden sich damit zufrieden gaben, ein Wertesystem auf sich selbst und jeden anderen anzuwenden, das einst in einer jetzt toten Gesellschaft von Bedeutung gewesen war.
    Michael ging weiter auf den Strand zu. Im Gegensatz zum Großteil der Küstenlinie von Cormansey, die er bisher gesehen hatte, war hier der Kies gleichmäßig und flach und nur zeitweilig von den großen Felsen unterbrochen. Das Wrack eines Fischerbootes war an den Strand in seiner Nähe angespült worden. Er hatte keine Möglichkeit herauszufinden, ob dieses Fahrzeug ursprünglich von Cormansey aus in See gestochen war oder ob es durch Zufall abgetrieben und hier an den Felsen zerschellt war. Woher auch immer es gekommen war, es hatte seine Tage damit beendet, wie ein toter Wal hier auf dem Strand auf einer Seite auf dem Trockenen zu liegen. Als er näher herankam, sah Michael, dass der Kapitän des Bootes – falls es sich dabei um diesen handelte – noch immer an Bord gefangen war. Der Leichnam, der sich in der verrosteten Seilwinde verhakt hatte, war stark verwest und beinahe skelettartig, was ohne Zweifel auf die rauen und unbarmherzigen Bedingungen des Ozeans zurückzuführen war.
    Nahezu das gesamte sichtbare Fleisch hatte sich abgeschält und war durch das salzige Meerwasser fortgeschwemmt worden, wodurch die gelbweißen Knochen darunter entblößt lagen.
    Noch vor Monaten hätte die Entdeckung eines solchen Leichnams eine Bedeutung gehabt, und das Leben vieler Menschen wäre durch die Auswirkungen des Todes und des Wracks in Mitleidenschaft gezogen worden. Heute bedeutete es niemandem irgendetwas. Michael bemitleidete den Ärmsten, der gestorben war. Es rief ihm wieder in Erinnerung, dass das meiste von dem, was er einst als wichtig erachtet hatte, nun nichts mehr zählte. Ein toter Körper, der an einem Strand angespült worden war, hätte in den Tagen, bevor die Welt auf den Kopf gestellt worden war, für Schlagzeilen gesorgt. Nun spazierte Michael beiläufig daran vorbei, als ob es sich dabei um nichts weiter als ein unwichtiges Stück Treibholz handelte. Es wurde immer schwerer, sich daran zu erinnern, dass jede dieser Leichen einst jemand gewesen war. Jemand mit einem Leben, einem Namen, einer Geschichte und einer Persönlichkeit.
    Nachdem er zuvor durch die Umstände gezwungen worden war, die Vergangenheit zu vergessen, hatte sich nun durch die Veränderung seiner Umgebung und den Ereignissen des zur Neige gehenden Tages eine unerwartete Schwäche in Michaels Panzer offenbart. Er war damit nicht alleine – fast alle hatten es ebenfalls gespürt. Bis zum heutigen Tag stellte eine unterbewusste Ablehnung, über die Vergangenheit nachzudenken, die Hauptverteidigung vieler Überlebender dar. Den unvorbereiteten Männern und Frauen auf der Insel hatte sich jedoch die Gelegenheit ergeben, zurückzublicken und sich an das zu erinnern, was sie

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