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Herbst - Läuterung

Herbst - Läuterung

Titel: Herbst - Läuterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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richtiggehend überdreht werden und gelegentlich gingen wir dann zusammen auf ein Bier und versuchten, die Welt wieder ins rechte Licht zu rücken. Dad arbeitete eine Zeit lang für eine Stahlproduktionsgesellschaft, bis die pleite ging. Er kam jeden Tag nach Hause und erzählte uns, dass sie Aufträge an andere lokale Firmen oder ausländische Unternehmen verloren hätten. Mum gewöhnte sich an, sich darüber aufzuregen, dass die Arbeit ins Ausland verlagert wurde, doch Dad sagte, es würde nichts zur Sache tun. Er meinte, es wäre unwichtig, wohin die Arbeit ausgelagert wurde, denn nur die Tatsache, dass seine Firma sie verloren hätte, würde bestehen bleiben. Er pflegte sie zu fragen, ob es, wurde man von einem Wagen niedergefahren, wichtig wäre, welche Farbe der gehabt hatte? So fühle ich mich heute. Wie gesagt, was geschehen ist, ist geschehen, und es ist nicht wichtig herauszufinden, warum es oder was geschehen ist. Wir sind, wo wir sind.«
    Er hörte auf zu sprechen, drehte sich von Emma weg und wischte rasch eine heimliche Träne aus seinem Augenwinkel, bevor sie ihm auf die Wange tropfen konnte. Seit Tagen hatte er nicht mehr an seine Mutter und seinen Vater gedacht, vielleicht waren es auch schon Wochen. Wie die restlichen Leute aus seiner Umgebung hatte Michael unbewusst eine Mauer um seine Vergangenheit gebaut, um seine Erinnerungen getrennt von der Gegenwart und außer Sichtweite zu verwahren. Alleine der Gedanke daran, zu versuchen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, schmerzte.
    Emma blickte von der Stirnseite des Kaufhauses nach draußen und schirmte ihre Augen vor dem grellorangen Schein des Sonnenaufgangs ab, der das Gebäude mit warmem Licht füllte. Die langen, stolpernden Schatten der ziellos umhertaumelnden Leichname streckten sich über den kalten, grauen Parkplatz in ihre Richtung.
    »Wie geht es dir?«, fragte sie, als sie seine unerwarteten Gefühlsregungen spürte, und rieb zärtlich mit ihrer Hand über eine Seite seines Arms.
    Er zuckte die Achseln. »Mir geht’s gut«, erwiderte er kleinlaut. »Ist bei dir alles in Ordnung?«
    Emma nickte. »Genau genommen fühle ich mich ziemlich gut.
    »Gut?«
    »Na ja, besser als ich mich gefühlt habe. Ich will hier nicht weggebracht werden, aber ... aber der Gedanke drängt sich mir auf, dass wir möglicherweise einen Weg aus all dem gefunden haben. Gestern zur selben Zeit waren wir noch unter der Erde, konnten nur dasitzen und abwarten. Heute sind wir ...«
    »Gestern zur selben Zeit waren wir vergleichsweise sicher. Heute sind wir gefährdet, angreifbar und haben nichts.«
    »Himmel, du kannst hin und wieder so ein erbärmlich pessimistischer Mistkerl sein«, beschwerte sie sich und schob sich ein wenig von ihm weg. »Denk positiv.«
    »Ich denke positiv«, behauptete Michael, »aber ich bin auch realistisch. Bevor ich diese Insel nicht gesehen habe, dort am Strand stehe und lauthals schreie, ohne dass Leichen daherkommen, bleibe ich skeptisch. Wir müssen vorsichtig sein und nicht überstürzt in etwas hineinrennen, das uns viel kosten kann.«
    »Was willst du damit sagen? Sollen wir zum Abschied winken und diese Leute in den Sonnenuntergang fliegen lassen?«
    »Nein, das ist überhaupt nicht, was ich damit sagen will. Du weißt, was ich über die Chaostheorie und diese ganzen Dinge glaube. Wenn etwas schiefgehen kann ...«
    »Dann wird es auch schiefgehen«, seufzte sie und vervollständigte den vorhersagbaren Satz für ihn. »Aber das bedeutet bei Gott nicht, dass wir herumsitzen und warten sollen, bis es geschieht. Es heißt nicht, dass sich die Dinge für uns nicht gut entwickeln können, oder?«
    Michael hielt für einen Moment inne und dachte über ihre Worte nach. Vielleicht hatte sie recht und er war zu negativ eingestellt? In Wirklichkeit verhielt es sich allerdings so, dass er zu verängstigt war und zu viel verloren hatte, um das Risiko einzugehen, optimistisch zu sein.
    »Entschuldige«, brummte er. »Du hast recht, ich halte den Mund.«
    »Ich will nicht, dass du den Mund hältst.« Sie rückte wieder näher zu ihm. »Ich möchte nur, dass du dem hier eine Chance gibst. Sei unvoreingenommen. Komm schon, Mike, überleg dir, was wir für uns dabei herausholen können, wenn die Sache klappt. Wenn diese Insel all das halten kann, was uns von ihnen diesbezüglich versprochen wird, dann könnten du und ich in kurzer Zeit zusammen ein Haus haben. Wir könnten unser eigenes Schlafzimmer mit einem anständigen Bett haben. Wir könnten

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