Herbst - Läuterung
befunden. Genau genommen bemerkte sie nun, als sie darüber nachdachte, dass sie sich seit den Tagen vor der Katastrophe nicht mehr in einer solchen Weise frei gefühlt hatte. Kostbare Sekunden lang war die überwältigende Erleichterung darüber so stark, dass sie sich nicht rühren konnte. Der Albtraum draußen schien plötzlich Tausende Meilen weit entfernt zu sein. Sie stand überwältigt und wie festgewurzelt da und war von zwar aufbauenden, aber unleugbar quälenden Gefühlen erfüllt.
»Sind Sie in Ordnung?«, fragte eine Stimme neben ihr. Es war Emma.
»Mir geht’s gut«, antwortete sie rasch und ein wenig verlegen. »Es tut mir leid, ich habe nur ...«
Obgleich Donna mitten im Satz abbrach, begriff Emma, was sie zu sagen versuchte. Sie hatte, als sie zuvor am Flugplatz angekommen war, ebenfalls dieselbe verwirrende Bandbreite an Gefühlen durchlebt. »Das hier ist wirklich großartig«, fuhr Emma fort. »Diese Leute hier haben sich eine richtige Ordnung geschaffen.«
»Sieht so aus ...«
»Sie werden nicht glauben, was für Dinge sie uns erzählt haben. Wissen Sie, als wir den Helikopter zum ersten Mal an diesem Morgen gesehen haben, wusste ich, dass er wichtig für uns werden würde, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie wichtig er tatsächlich sein würde. Keiner von uns hatte die Zeit, innezuhalten und darüber nachzudenken, nicht wahr? Himmel, diese Leute haben das verdammte Land von oben bis unten gesehen. Sie haben andere Stützpunkte wie den, von dem Cooper kam, entdeckt und ...«
»Das weiß ich, ich habe gehört, wie Lawrence bereits früher darüber sprach. Wie kommt es also, dass es hier so wenige von ihnen gibt?«, wollte Donna wissen und setzte sich neben Emma.
»Ich nehme an, dass sie dieselbe Herangehensweise an all das hatten wie wir«, entgegnete Emma schnell. »Mike und ich haben uns gleich von Beginn an dazu entschlossen, dass wir es uns nicht erlauben können, die Zeit damit zu verbringen, nach weiteren Überlebenden zu suchen. Uns war klar, dass wir an niemand anderen denken durften, sondern uns darauf konzentrieren mussten, das alles hier zu überstehen. Sieht so aus, als hätten diese Leute ihre Zeit damit verbracht, dasselbe zu tun.«
»Wie viele von ihnen gibt es dann hier?«
»Ich bin mir nicht sicher. Hier dürften ungefähr zwanzig von ihnen sein und auf Cormansey noch einmal sechs.«
»Cormansey?«
»Die Insel, erinnern Sie sich?«
Donna nickte. Sie war müde und ihr Gedächtnis funktionierte nicht einwandfrei. In dieser Nacht sah sie erschöpft und schwach aus, wie ein Schatten ihrer selbst. Emma bemerkte es und reichte ihr eine kleine Flasche Limonade. Die süße Flüssigkeit war warm, aber kohlensäurehaltig und sehr begrüßenswert.
»Ist viel passiert, seit Sie hier sind?«, fragte Donna, während sie ihren Mund mit dem Ärmel abwischte.
»Nicht wirklich«, antwortete Emma, »wir haben hier eigentlich nur herumgesessen und darauf gewartet, dass Ihre Gruppe auftaucht. Was ist passiert? Sind Sie in Schwierigkeiten gekommen?«
»Blöder Schlamassel«, räumte Donna ein und zuckte die Achseln. »Wir haben im Kreisverkehr die falsche Ausfahrt genommen, als das verdammte Denkmal umstürzte und haben dann noch mehr Fehler gemacht, als wir versuchten, zurück auf die richtige Spur zu kommen und euch einzuholen.«
Eine Salve aus lautem Gelächter drang von der gegenüberliegenden Seite des Raumes zu ihnen. Es war ein unerwartetes und seltsam erschreckendes Geräusch. Donna blickte auf und sah, dass Michael, Cooper und eine Handvoll Leute, die sie nicht kannte, miteinander sprachen. Zunächst fragte sie sich nicht, wer diese Menschen sein mochten oder worüber sie sich amüsierten. Stattdessen beschäftigten sich ihre Gedanken mit der Tatsache, dass sie gerade Gelächter gehört hatte. Zum ersten Mal seit vielen Wochen konnte sie hören, wie Menschen ihren positiven Gefühlen, die zuvor noch unterdrückt gewesen waren, ungehindert Ausdruck verliehen. Was auch immer der Grund für ihre Fröhlichkeit sein mochte, sie rief in ihr ein unangenehmes Gefühl hervor. Donna, die üblicherweise so stark und bestimmt war, dass sie kühl und gleichgültig erschien, war nun kurz davor, in Tränen auszubrechen. Sie tat ihre Gefühle als lediglich einen Moment der Schwäche ab, der vermutlich durch ihre Müdigkeit und Erschöpfung herbeigeführt worden war. Sie wandte sich um und blickte aus dem Fenster hinter sich, bevor Emma die Gemütsregung in ihren Augen sehen
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