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Herbst - Läuterung

Herbst - Läuterung

Titel: Herbst - Läuterung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Moody
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Erinnerung an das unbegreifliche Ausmaß der Tragödie, von der die Welt um sie herum zerstört worden war.
    Die erste Hälfte der Reise war Michael damit beschäftigt, an Emma zu denken. Er war nicht dazu fähig, ihr tränenreiches Gesicht auch nur für eine Sekunde aus seinem Verstand zu verdrängen. Als am Flugfeld der Morgen immer weiter entschwand, war ihm der Gedanke daran, sie zurückzulassen, allmählich immer unangenehmer geworden. Nun, da es geschehen und er abgereist war, fühlte er sich hohl, leer und einsam. Er hatte aus der Luft auf sie hinabgesehen und sie so lange beobachtet, bis die Entfernung zwischen ihnen zu groß geworden und sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann versuchte er, sich mit dem Gedanken zu ermutigen, dass sie beide, wenn alles planmäßig verlief, in weniger als einer Woche wieder zusammen sein konnten. Doch bevor es soweit war, gab es eine Menge Arbeit, und in diesen Tagen liefen die Dinge selten nach Plan. Michael bereute es bereits bitterlich, nicht am Flugplatz zu sein, um nach ihr zu sehen, obgleich er wusste, dass sie ihn dort nicht brauchte. Es glich dem, was sie in den frühen Morgenstunden sagte: Bisher hatten sie beinahe jede Sekunde des Albtraums miteinander durchgestanden. Es fühlte sich nicht richtig an, nun von ihr getrennt zu sein.
    Als er versuchte, sich dazu zu zwingen, seinen Verstand zu klären und sich darauf zu konzentrieren, was vor ihm und nicht auf das, was vorübergehend hinter ihm lag, blickte er quer durch den Helikopter zu Peter Guest. Dieser hatte seinen Kopf gegen das Fenster gelehnt und starrte nach unten. Wie paralysiert und beinahe ohne zu blinzeln beobachtete er, wie der Boden unter ihnen mit wilder Geschwindigkeit vorüberraste. Michael drehte sich interessiert um und sah an seiner Seite nach draußen. Die strahlende Sonne des frühen Morgens schien schon lange nicht mehr und hatte den Spätherbsthimmel stumpf, grau und regenschwer zurückgelassen. Er blickte nach unten und beobachtete, wie sie über eine kleine Stadt flogen. Die Gebäude, die in Sekundenschnelle wieder außer Sichtweite gerieten, zeigten sich ungewöhnlich verschwommen und unklar. Alles war überwachsen und von einer dünnen, grünen Schicht überzogen. Es war beinahe so, als würden die Gebäude und Straßen verschlungen werden und wieder mit dem Land verschmelzen.
    Unter dem Helikopter schien die Welt nahezu vollkommen stillzustehen. Danny Talbot – ein kleiner und aknegeplagter Jugendlicher, der den Flugplatz im Laderaum des Gefängniswagens erreicht hatte – stellte fest, dass er unwillkürlich inmitten der Zerstörung nach Überlebenden Ausschau hielt. Wenn ich da draußen auf mich selbst angewiesen wäre, dachte er, und den Helikopter hören würde, dann würde ich ins Freie gehen und verdammt noch mal dafür sorgen, dass ich gesehen werde. Warum konnte er jetzt da unten niemanden sehen? Warum konnte er nur die verrottenden Leichen sehen, die sich qualvoll über die geröllüberzogene Landschaft schleppten? Konnte es sein, dass jeder Überlebende, der das Tosen der Rotorblätter hörte, zu verängstigt, zu langsam oder zu gefährdet war, um darauf zu reagieren? Oder lag es daran, dass es keine lebendigen Menschen mehr gab? An diesem kalten und unsteten Tag schien dies die wahrscheinlichste Erklärung zu sein.
    »Cormansey«, kündigte Richard Lawrence nach etwa zwanzig Minuten an, als er den dunklen Umriss der Insel am dunstigen Horizont ausmachen konnte. Das Festland befand sich nun hinter ihnen und der Helikopter raste auf den Ozean hinaus. Michael hatte es geschafft, seine Augen zu schließen und war kurz vor dem Einschlafen, als ihn die Worte des Piloten wieder aufhorchen ließen. Das Herz begann in seiner Brust wild zu pochen, als er aus dem Fenster starrte. Je länger die Reise dauerte, desto besser hatte er sich an die Isolation und die Geborgenheit des Helikopters gewöhnt. Der Gedanke, dass sie bald wieder Bodennähe erreichen und sich inmitten des Chaos befinden würden, war befremdlich. Er konnte von seinem Sitzplatz aus nicht sehr gut durch die Frontscheibe des Helikopters sehen und spähte daher über Lawrences Schulter. Dadurch war er in der Lage, in der Entfernung den Punkt auszumachen, bei dem die stumpfen Grün- und Brauntöne auf das Grau des Wassers trafen, als die Insel zum Vorschein kam.
    Peter Guest, der neben Michael saß, war auf einmal ebenso unsicher wie er. »Wo ist sie?«, fragte er und mühte sich ab, etwas durch das regengestreifte

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