Herbst - Zerfall
seinem Erstaunen fuhren sie immer noch.
Sean beschrieb eine große Schleife, wich der abgesperrten Kreuzung aus und gelangte schließlich zu der Strecke nach Bromwell, die sie am Vortag eingeschlagen hatten. Über das Ziel für diesen Tag hatten sie sich bereits geeinigt – die Bowlingbahn neben dem Supermarkt, den sie geplündert hatten. An diesem Vormittag kamen sie schneller voran, obwohl deutlich mehr Leichen umherirrten als zuvor; das Motorrad war einfacher durch das Chaos zu lenken als der Bus. Die Toten waren zweifellos von dem Lärm angelockt worden, den sie am Vortag verursacht hatten, dachte Sean. Wobei der Grund eigentlich keine Rolle spielte. Mittlerweile wusste er, wie man mit ihnen fertig wurde. Sie verkörperten nicht mehr die Bedrohung, für die er sie fälschlicherweise gehalten hatte. Es waren bloß madenzerfressene, geistlose Hüllen aus Fleisch und Knochen, die sich kaum zu koordinieren vermochten.
Sie rasten die Hauptstraße von Bromwell entlang, passierten Amirs verwahrlostes Restaurant und verschiedene andere, belanglose Stätten, auf die sie am Vortag hingewiesen worden waren. Webb, der endlich den Mut fand, aufzuschauen, ertappte sich dabei, dass er den anderen ausnahmsweise insgeheim dankte. Der sperrige, verbeulte Doppeldeckerbus hatte den Weg für sie geebnet, indem er nicht nur etliche Leichen umgemäht, sondern auch massenweise Trümmer beiseite geschoben hatte, sodass ein relativ freier, wenngleich blutiger und tückischer Pfad durch das Chaos entstanden war. Sie bretterten über die Brücke, die sich über den mit Fleisch gefüllten Kanal spannte, vorbei an der Vorderseite des Supermarkts, und erreichten ihr Ziel. Sean hielt das Motorrad vor der Glasfront der Bowlingbahn an.
»Was jetzt?«, fragte er und beobachtete angespannt eine Gruppe von sieben Leichen, die sich gerade umgedreht hatten und auf sie zusteuerten. Ein Blick über die Schulter offenbarte mindestens doppelt so viele, die sich von hinten näherten. Die verfluchten Dinger mussten sich hierher geschleppt habe, nachdem sie den Supermarkt am Vortag verlassen hatten. Plötzlich fühlte sich Sean nervös und unsicher, wagte jedoch nicht es sich Webb gegenüber anmerken zu lassen.
»Fahr hinten rum«, gab Webb zurück, dessen Erfahrung im Umgang mit den Toten und mit dem Eindringen in Gebäude sich erneut als nützlich erwies. »Dort sind wahrscheinlich weniger, und wenn wir wieder verschwinden, ist es von dort aus auch einfacher.«
Sean leistete der Anweisung sofort Folge, schwenkte um den nächsten Toten herum und streckte den Fuß aus, um die dumme Kreatur zu Fall zu bringen. Dann bog er nach rechts, fuhr die Seite des Gebäudes entlang und konzentrierte sich darauf, einer weiteren Schar von Kadavern auszuweichen, die hinter dem Gebäude nebenan hervorgewankt waren. Die Leichen waren überall. Konnte das wirklich allein an dem Lärm vom Vortag liegen? Und die verfluchten Dinger bewegten sich wieder in Gruppen wie Herdentiere. Kurzzeitig lenkten ihn die Gedanken über die Toten so sehr ab, dass er vor Schreck zusammenzuckte, als Webb seine Schulter umfasste.
»Halt!«, brüllte er über den Lärm des Motors. »Dreh um. Zur Brandschutztür.«
Sean schaute über die Schulter zurück und bremste. Webb sprang ab und rannte zu einer dunkelblauen Brandschutztür auf halbem Weg die Seite des Ziegelsteingebäudes hinab. Die Tür wurde von einem Skelettarm aufgekeilt, der vom Boden aufragte, als zeigte der tote Besitzer auf, um eine Frage zu stellen. Insekten weideten sich an den verrotteten Fingerkuppen und schwirrten davon, als Webb die Tür aufriss und der Arm zu Boden kippte. Sean fuhr hinein in die Dunkelheit, stellte das Motorrad rasch ab und rannte zurück, um Webb dabei zu helfen, die Leiche aus dem Weg zu schaffen. Anschließend zog Webb die Tür zu, die mit einem beruhigenden, dumpfen Knall ins Schloss fiel und das Gebäude in völlige Finsternis tauchte.
»Mach Licht!«, brüllte Webb, der aus der Nähe Bewegungsgeräusche wahrnahm.
»Licht? Womit denn?«, gab Sean panisch zurück.
»Mit dem Motorrad! Benutz das Motorrad!«
Sean rannte zurück zum Motorrad, wurde jedoch von einer vereinzelten Leiche aus dem Gleichgewicht gebracht, die mehr durch Glück als beabsichtigt frontal mit ihm zusammenprallte. Der entsetzliche Gestank, der ihm jäh in die Nase drang, ließ ihn zurückschrecken, dann stolperte er, als der wackelnde Kopf der Kreatur durch die Wucht des Zusammenstoßes erst zurück-, dann wieder
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