Herbst - Zerfall
nun?«
Sie blickte wieder, als wäre sie die Beifahrerin in einer surrealen, von Hindernissen übersäten Rallye, auf ihre Aufzeichnungen nieder. Ihre Unterstützung war lebenswichtig. Durch die nahezu nicht enden wollenden Leichenwogen wurde es praktisch unmöglich gemacht, lediglich anhand der Sicht fahren zu wollen. Oftmals waren sie so dicht zusammengedrängt, dass die Entscheidung schwerfiel, wo die Straße endete und der Bordstein begann.
»Fahr eine halbe Meile lang weiter, danach folgt eine Ampelanlage, und Shaylors sollte dann auf unserer rechten Seite liegen.«
»Sollte auf der rechten Seite liegen?«
» Wird auf der rechten Seite liegen«, korrigierte sie sich selbst. Ein plötzlicher dumpfer Schlag ließ sie emporschnellen und sie holte tief Atem, als sich ein Arm – es konnte sich auch um ein halbes Bein handeln – aus der Horde empor schraubte, gegen die Windschutzscheibe prallte und eine blutige Spur hinterließ – einen unerwarteten, purpurroten Fleck inmitten des fauligen Gelbgrau.
»Hübsch«, murmelte Hollis, »sie fallen jetzt tatsächlich auseinander.«
»Ich wünschte mir nur, sie würden sich damit beeilen.«
Hollis warf einen raschen Blick in den Rückspiegel, doch er konnte wenig deutlich erkennen.
»Sind sie immer noch hinter uns?«, fragte er.
Lorna drehte sich auf ihrem Sitz um und starrte angestrengt die Länge des leeren Lastwagens hinunter, um durch das Heckfenster sehen zu können. Die Aussicht hinter ihnen stand im krassen Gegensatz zu dem, was vor ihnen geschah. Geradeaus befand sich eine beständige Masse dunkler, spinnenartiger, schattenhafter Gestalten, die aus jedem Winkel heranstrebten, doch hinter ihnen zeigte sich eine blutige Schneise in der Horde, in der viele der unermüdlichen, ehemals menschlichen Hüllen niedergemäht und unter den Rädern des Fahrzeugs zerschmettert worden waren. Lorna musste zunächst damit kämpfen, ihren Blick zu schärfen. Die Fahrt wurde zunehmend unruhig und holprig, während sie über die Toten hinwegrollten. Schließlich erhaschte sie einen Blick auf die grellen Lichter des Motorrads von Jas. Ein wenig weiter hinten rumpelte der Bus beständig in nahezu Fußgängergeschwindigkeit durch das Massaker. Er war so groß und kraftvoll, dass es keine Rolle spielte, wie schnell Driver fuhr, denn ihn konnte nichts an der Durchfahrt hindern.
»Sie sind beide da«, erwiderte sie schlussendlich. »Fahr einfach weiter.«
Himmel , dachte Harte bei sich, als er sich am Rücksitz des Motorrads festhielt, ich war hier schon monatelang nicht mehr. Das Motorrad ruckelte ärgerlich, als Jas auf den Gehsteig auffuhr und sich geschickt durch eine Lücke zwischen einer Würstchenbude und der Ladenfront eines Einrichtungshauses schlängelte. Sekunden später drängte sich der Bus dieselbe Wegstrecke entlang, riss eine Ecke der Würstchenbude mit sich und rammte sie zur Seite, wodurch die Glasfassade des Ladens zertrümmert wurde. Nahezu augenblicklich begannen vier Leichen, die wochenlang im Inneren gefangen gewesen waren, aus den Schatten zu kriechen. Es waren an diesem Morgen nicht so viele Leichen zu sehen, wie er eigentlich erwartet hatte. Harte vertrat die Theorie, dass ihre Anzahl deshalb geringer war, da sie sich allmählich wie Blut auf einem Taschentuch verteilten. Dieser stinkende, gottverlassene Ort war stets betriebsam und voller Menschen gewesen. Er hatte an einer Schule, die nur ein paar Meilen entfernt lag, unterrichtet und immer sein Bestes getan, um zu vermeiden, hierher kommen zu müssen. Die Kingsway Road verlief direkt durch die Zentren einiger der ärmsten Stadtteile und der Dreck sowie die Ruinen hier erschienen unangenehm alltäglich und gewöhnlich. In diesem dicht bevölkerten Höllenloch konnte er, während sie daran vorbeifuhren, immer noch einige der bemitleidenswerten Einwohner sehen, die in den Läden, Büros und Häusern gefangen waren. Ein paar von ihnen bewegten sich unaufhörlich, als würden sie darauf hoffen, plötzlich wie durch ein Wunder einen Ausweg aus ihren Gefängnissen zu finden, wenn sie nur lange genug danach suchten. Andere waren gegen die Fenster gesackt und hämmerten in sinnloser Wiederholung mit ihren Fäusten gegen das schmutzige Glas.
Der Lastwagen, der sich weniger als fünfzig Meter vor dem Motorrad und dem Bus befand, war langsamer geworden. Lorna kurbelte ihr Fenster herunter, streckte ihre Hand in die Luft und wies mit ausgestrecktem Finger energisch nach rechts. Jas, der dies als Aufforderung
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