Herbst - Zerfall
und nachsehe, ob eine von ihnen früher mal ein Arzt gewesen ist? Verdammter Mist, Gordon, reiß dich zusammen!«
»Er hat nicht ganz Unrecht«, sagte Lorna.
»Das ist mir klar«, räumte Hollis ein.
»Wir können sie nicht einfach so da liegen lassen, oder?«
Hollis schüttelte den Kopf und stand auf. Er schritt langsam den Flur entlang, blieb dann aber stehen und ging zurück. Er machte in kurzer Entfernung zu den Kerzen halt, deren Schein gerade noch stark genug war, um sein müdes Gesicht zu beleuchten.
»Vielleicht sollten ein paar von uns morgen versuchen, ins Freie zu gehen und ihr ein paar Medikamente zu besorgen«, schlug er wieder vor, »irgendwelche Antibiotika oder so was Ähnliches, die dann hoffentlich ihren Zweck erfüllen.«
»Und wenn nicht?«, rief ihm Gordon nach, als er davonging und in der Dunkelheit verschwand.
»Dann werden wir uns darum kümmern, wenn es soweit ist«, erwiderte seine schwächer werdende Stimme.
15
Die frühe Morgensonne brach unerwartet durch die nahezu undurchdringliche Schicht aus mattgrauen Wolken, die das Land wie ein Leichentuch bedeckten. Hollis wartete vor dem Wohnblock auf Lorna. Unten hatte die Metzelei wieder begonnen. Es war noch vor sieben, doch schienen weder die frühe Stunde noch die Müdigkeit nach der gestrigen Strapaze den Eifer von Jas, Webb, Stokes und Harte gedämpft zu haben, eine weitere Welle von Leichen auszulöschen. Zu seiner großen Überraschung bemerkte Hollis, dass sich Gordon an diesem Morgen einen schlecht sitzenden Motorradanzug besorgt und zu den anderen am Rand der Horde gesellt hatte. Kaputte Hüfte hin oder her, er schien schlussendlich seine erbärmlichen Ängste und Hemmungen überwunden zu haben, um sich den Leichen frontal zu stellen. Entweder lag es daran oder er fand an diesem Tag die Aussicht, im Wohnhaus zu sitzen, nervenaufreibender. Jede Unterhaltung, die er seit dem Aufwachen zufällig mitbekommen hatte, schien sich um Anita und ihren verschlechternden Zustand gedreht zu haben.
Ein plötzlicher Schwall aus goldenem Sonnenlicht sprenkelte die Köpfe Tausender sich windender Leichen am Fuße des Hügels. Er war sich nicht sicher, weshalb, doch der einseitige Kampf, der sich unter ihm erstreckte, schien irgendwie anders, grausamer, zu sein als am Tag zuvor. Möglicherweise lag es auch an nichts weiter als der unterschiedlichen Perspektive, von der aus er nun den Kampf beobachtete? Vielleicht waren die Leichen gestern ebenso brutal und lebhaft gewesen wie diese und es hatte nur so gewirkt, als wären sie es weniger gewesen, da er sie aus der Nähe wahrgenommen hatte. Eventuell schien es auch nur deshalb so, da Leute wie Gordon und Stokes in einem Handgemenge weniger versiert und leistungsfähig waren? Lag es unter Umständen an den Leichen selbst? Waren sie aufgrund der jüngsten Ereignisse lebhafter und an diesem Morgen zu Tode erschrocken oder irgendwie verärgerter und zorniger und wollten sich nach dem gestrigen Gemetzel rächen oder ...«
»Bist du soweit?«, fragte Lorna und schreckte ihn dadurch auf. Er drehte sich um und sah, dass sie direkt hinter ihm stand; dann brummte er und kletterte in den dreckbespritzten Lastwagen, den er gewöhnlich fuhr. Er hatte mit Lorna noch spät in der gestrigen Nacht kurz gesprochen und sie hatten es auf sich genommen, hinauszufahren und nach Medikamenten zu suchen. Wenn sie es nicht taten, darauf hatte sie völlig zu Recht hingewiesen, so würde es keiner der anderen Arschlöcher tun.
»Also, wohin?«, fragte er, als sie sich neben ihn setzte und die Tür zuwarf.
»Hier in der Nähe gibt es drei Apotheken«, erwiderte sie rasch. »Fahr zuerst zu der am Fuße des Bail Hill. Die war ziemlich groß und es sollte dort genügend Zeug geben.«
»In Ordnung.«
»Hast du irgendeine Ahnung, wonach wir Ausschau halten?«
»Nein«, erwiderte er, als er den Motor startete und in Richtung des Labyrinths aus Garagen, Feldwegen und Straßen hinter den Wohnungen fuhr. »Ich schlage vor, dass wir da einfach reingehen und die Regale in den Laderaum des Lasters leeren. Um das, was wir mitgenommen haben, kümmern wir uns dann, wenn wir wieder zurück sind.«
Hollis trat vor der Apotheke auf die Bremsen und ließ den Laster auf dem Gehsteig so nahe an der Tür ganz rechts an der Vorderseite des Gebäudes geparkt, wie er nur konnte, zurück.
»Fünf Minuten«, erklärte er ihr, »nicht mehr.«
Lorna verschwand rasch im Gebäudeinneren. Er hielt eine Sekunde lang inne, bevor er ihr folgte und
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